0394 - Die Unheimliche vom Schandturm
die wie hauchdünne Fetzen an uns vorbei und zum Ausgang trieben.
»Das ist es also«, stöhnte der deutsche Kripomann.
»Was meinen Sie?«
»Ich meine den Nebel. Wir haben es hier nicht mit einer normalen Gestalt zu tun, sondern mit einem Nebelgespenst. Oder liege ich da so falsch?«
»Das glaube ich kaum.«
»Aber wie hat Will Mallmann dann dieses Pferd und die Frau als normale Körper sehen können? Wissen Sie da eine Erklärung?«
»Ja und nein.«
In seinem Gesicht stand die Suche nach einer Erklärung, anders ließ sich der Ausdruck nicht deuten. »Dann sagen Sie es mir bitte.«
»Das ist ganz einfach. Es muß dieser Gertrude Ricardis gelungen sein, sogenannte Zustandswechsel durchzuführen. Sie wissen doch, Herr Herkner. Es gibt den festen, den flüssigen und den gasförmigen Zustand. Der gasförmige ist der, der dem eines Geistes am nächsten kommt. Sie kann also als normaler Zombie und als nebelförmiges, esotherisches Wesen, wie wir es gesehen haben, auftreten.«
»Wissen Sie was, Herr Sinclair?«
»Nein«, lächelte ich.
»Das ist mir alles zu hoch. Ich weiß nicht, als was ich Sie einstufen soll. Irgendwie sind Sie Realist, Spinner und Phantast in einer Person.«
»Da mögen Sie recht haben.«
Armin Herkner nickte entschlossen. »Und jetzt werde ich diese verdammte Gruft verlassen. Ich möchte mir nicht unbedingt nur noch Särge anschauen. Auch habe, ich die Nase von Friedhöfen voll. Wollen Sie noch weitersuchen?«
»Nein.«
»Und einen Plan haben Sie auch nicht?«
»Wie sollte ich.«
Er lachte wieder. »Nur gut, daß auch bei Scotland Yard nur mit Wasser gekocht wird.«
»Stimmt.« Ich ließ den deutschen Kollegen vorgehen, der es ziemlich eilig hatte.
Noch einmal warf ich einen Blick auf den Sarg. Nein, da hatte sich nichts verändert. Er stand als zerstörte oder zerfetzte letzte Ruhestätte auf dem schmutzigen Boden der Gruft. Ein kleines Rätsel, dessen Lösung wir bisher noch nicht gefunden hatten.
Um die Gruft verlassen zu können, mußten wir uns mit einem Klimmzug hochziehen. Armin Herkner machte es mir vor. Anschließend war alles ein Kinderspiel.
Ich hing noch auf halber Höhe, als ich den erschreckten Ruf des Oberkommissars vernahm. Verdammt, da war etwas passiert. Sofort fiel mir Will Mallmann ein, und ich beeilte mich noch mehr.
Kaum konnte ich über den Rand schauen, sah ich die Szene. Auf dem vor der Gruft entlanglaufenden Weg kniete Herkner neben seinem Kollegen aus Wiesbaden.
Will lag auf der Seite. Er rührte sich nicht und sah aus wie tot.
Plötzlich klopfte mein Herz rasend schnell. Ich dachte auch an Petra Schwamborn, denn bisher hatte ich sie nicht gesehen.
Sollte es sie erwischt haben?
Mehr stolpernd als laufend näherte ich mich den beiden Männern und ging neben ihnen in die Knie.
Herkner drehte mir das Gesicht zu. Auf der Stirn lagen Schweißperlen. »Will hat es erwischt.« Als er meinen bestürzten Blick sah, schwächte er rasch ab. »Nein, er ist nicht tot, nur bewußtlos, das kriegen wir wieder hin.«
»Hoffentlich. Und Ihre Assistentin?«
Da erschrak der Mann aus Köln. »Verdammt, sie ist weg.«
»Das sehe ich auch. Suchen Sie das Mädchen.«
»Sofort.« Er kam hoch, machte sich auf die Suche und rief auch ihren Namen, ohne allerdings eine Antwort zu erhalten. Ich kümmerte mich inzwischen um meinen deutschen Freund. Er blutete am Ohr, ich sah auch die Beule und tätschelte seine Wangen, doch Will rührte sich nicht. Es hatte ihn doch härter erwischt, als ich nach dem ersten Hinsehen geglaubt hatte.
Was tun?
Wir konnten hier nicht lange sitzenbleiben. Ich war der festen Überzeugung, daß sich unsere bisher noch unbekannte Gegnerin wieder auf den Ritt gemacht hatte.
Und das konnte böse enden.
Minuten vergingen, Will blieb bewußtlos, und Herkner kam erfolglos zurück.
»Nichts«, sagte er. »Petra Schwamborn ist verschwunden.«
»Dann hat Gertrude sie geholt.«
»Ja…« Er schüttelte den Kopf und begann mit seinen Selbstvorwürfen. »Verdammt, warum habe ich sie auch allein lassen müssen?«
»Mallmann war bei ihr.«
»Vier Augen sehen aber mehr.«
Das stimmte zwar, dennoch hatte es keinen Sinn, wenn wir hier saßen und anfingen, uns Vorwürfe zu machen. Wir mußten uns den Tatsachen stellen und nächste Schritte unternehmen.
»Ich bekomme ihn nicht wach«, erklärte ich dem Beamten. »Es bleibt uns nichts anderes übrig, als ihn mitzunehmen.«
»Wie denn?«
»Über die Schulter wuchten.«
Er schlug sich gegen die
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