0394 - Die Unheimliche vom Schandturm
ergossen, so klatschten die Tropfen nach unten und blieben als breite Lachen auf dem Boden liegen. Manche berührten auch die Blätter, knickten diese, rutschten weiter und klatschten vor unsere Füße.
Ich konnte auf den Kopf schauen. Wie der Zufall es wollte, hing er so in einer Astgabel, daß ich die aufgerissenen Augen sah, deren Blick so stumpf war.
Auch sie vergingen.
Von innen her quoll der Schädel auf, die Augen wurden hervorgedrückt, und eine gelbweiß schimmernde Schleimwolke rann über die Vorderseite des Schädels.
Das war auch sein Ende.
Ich wandte mich ab. Das Bild war einfach zu unappetitlich, und so wandte ich mich an meine Begleiter. Will kam mit der Frau. Er mußte sie stützen und sprach beruhigend auf sie ein.
Ich wandte mich an den Oberkommissar. »Nun, mein Lieber, alles klar?«
»Jetzt ja.« Auch Herkner war blasser als sonst. Er fand für die Vorgänge keine Erklärung, aber er wußte jetzt, daß Kräfte im Spiel waren, die mit dem menschlichen Verstand kaum zu erfassen waren.
Petra sagte nichts. Sie blickte an mir vorbei. Ihre Augen hatten einen Ausdruck angenommen, den ich als starr bezeichnete. Die schmalen Nasenflügel bebten beim Luftholen.
Mallmann erreichte uns. »Da haben wir eine Zeugin«, erklärte der Kommissar und stellte die Frau vor. Den Namen Schmitz konnte jeder von uns sofort behalten.
Die Frau schaute mich an. Mit bebender Stimme sagte sie: »Sie haben mir das Leben gerettet, Herr…«
Ich winkte ab. »Das hätte jeder von uns getan.«
»Trotzdem, nicht jeder ist heute so mutig.«
»Das spielt keine Rolle«, sagte Armin Herkner. »Wir möchten von Ihnen wissen, was genau geschehen ist. Sie müssen es gesehen haben, Frau Schmitz. Bitte, klären Sie uns auf!«
»Das ist einfach gesagt…« Sie schaute zurück und bekam wieder eine Gänsehaut. Auch wir blickten in diese Richtung, und ein jeder von uns sah die dünne Nebelwolke über den Bäumen. Dort also mußte das Zentrum, möglicherweise die Gruft liegen.
Wir hörten Erna Schmitz genau zu und erfuhren somit die gesamte Geschichte.
Oft ist es so, daß sich gerade Tatsachen am unwahrscheinlichsten anhören. Auch hier. Das Pferd, der Nebel, das schrille Wiehern, es paßte einfach nicht in die reale Welt, und doch war es geschehen.
»Und die Stelle kennen Sie genau?« erkundigte ich mich.
Die entscheidende Antwort gab sie uns. »Ja, es ist die Gruft der Ricardis.«
Das hatten wir hören wollen.
Will Mallmann schaute mich an, ich ihn. Auch Armin Herkner nickte.
»Dann wäre wohl alles klar«, sagte er und rieb über sein Gesicht.
»Oder wollen Sie noch immer hierbleiben?«
»Nein«, erwiderte ich. »Wir müssen uns die Gruft unter allen Umständen anschauen.«
»Es besteht Lebensgefahr für Sie!« flüsterte die Frau.
Ich winkte ab. »Das wissen wir. Nur sind wir bewußt auf diesen Friedhof gekommen, um uns damit zu beschäftigen. Uns interessiert das Grab eben.«
»Kann ich denn gehen?«
»Natürlich.«
Sie bedankte sich noch einmal und ging davon. Zuerst langsam, dann schneller.
»Frau Schmitz hat das Grab ihres Mannes besucht«, erklärte Will Mallmann uns.
Zeit war genug verstrichen. Keine Sekunde länger hielten wir uns an diesem Ort auf und machten uns auf den Weg, um auch den Rest der Strecke hinter uns zu bringen.
Ich hielt mich neben Petra Schwamborn. Meine Stimme unterbrach das uns umgebende Schweigen. »Haben Sie sich wieder einigermaßen erholt, Fräulein Schwamborn?«
Sie lächelte schwach. »Ja, so etwas…«
»Es wird alles ins Lot kommen, keine Sorge.«
Von unten her schaute sie mich schräg und mit einem, wie ich meinte, lauernden Ausdruck in den Augen an. »Meinen Sie wirklich?«
»Davon bin ich überzeugt.«
»Na dann…«
So nett die kleine Petra auch war und sich gab, einige Antworten gefielen mir nicht. Wußte sie vielleicht mehr? Das konnte schon sein.
Sehr bald schon standen wir vor der Gruft der Ricardis. Sie war überhaupt nicht zu verfehlen gewesen, da über ihr ein leichter Nebelschleier lag und mit der Gruft verwachsen zu sein schien, so daß sie auch bei hellem Tageslicht ein etwas unheimliches Aussehen bekommen hatte.
Zum Glück befanden wir uns allein in der Umgebung. Es gab keine weiteren Besucher, und ich machte den Anfang, als ich den weichen Grasboden der Grabfläche betrat.
Ein Pferd besitzt eine bestimmte Größe. Wenn es sich irgendwo versteckt gehalten hatte, mußte auch dieses Versteck entsprechende Abmessungen besitzen.
Ich wollte es finden.
Vor
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