0394 - Die Unheimliche vom Schandturm
wirkenden Grabstätte hinzu. Das konnte einfach so leicht nicht verkraftet werden.
Der Kommissar war beunruhigt. Bisher hatte er noch auf dem Grab gestanden, nun verließ er es, trat auf den Weg und schaute dort in die beiden verschiedenen Richtungen.
Von Petra sah er nichts.
Als er ihren Namen rief, bekam er ebenfalls keine Antwort, und das wunderte ihn. Wenn sie noch in der Nähe steckte, mußte sie ihn einfach gehört haben.
»Petra, geben Sie schon Antwort! Machen Sie es nicht so spannend. Das ist hier kein Versteckspiel!«
Es blieb ruhig.
Dafür wurde Will Mallmann ungeduldig. Der Friedhof war ihm nicht geheuer. Besonders der Platz in seiner Nähe wurde von Kräften beherrscht, denen sie bisher noch nichts entgegengestellt hatten.
Hier regierten Mächte, die oft blitzschnell zuschlugen und sich ebenso rasch wieder zurückzogen. Der Kommissar warf noch einen Blick auf das Grab, fand die Fläche leer, sah nur den dünnen Nebel und wandte sich dann nach rechts, um die nähere Umgebung abzusuchen.
Er wollte und mußte Petra finden!
Da sah er die Bewegung. Ob sie durch einen Menschen verursacht worden war, konnte er nicht feststellen. Jedenfalls bewegten sich vor ihm die Zweige mehrerer Büsche, und das mußte seinen Grund haben. Leider wuchsen sie sehr dicht, es gab kaum Lücken, Will mußte schon sehr nahe heran und sie zur Seite biegen.
Das tat er auch, sah etwas – und fuhr zurück.
Er wollte schreien, sein Mund öffnete sich bereits, da bekam er den Treffer an den Kopf.
Wie ein Stein kippte er nach rechts weg. Das Ohr blutete. Dicht darüber wuchs eine Beule, und er sah nicht mehr das grinsende Gesicht einer Frau und auch nicht das Pferd, das dort aus den Büschen hervorhuschte, wo der Kommissar Sekunden zuvor noch nachgeschaut hatte…
***
»Verdammt, ich habe Herzklopfen«, gab der Oberkommissar zu, als er neben mir herschlich.
Ich lachte leise. »Das kommt vor.«
Wir befanden uns in einer ziemlich großen Gruft. Eigentlich zu groß für das, was in ihr stand.
Es war nur ein Sarg.
Eine dunkle, halb zerfallene Totenkiste, überdeckt mit Moos und nach feuchtem Moder stinkend. Herkner zielte mit dem Lampenstrahl auf den Gegenstand. In seinem Licht glänzten die Spinnennetze wie silberne Streifen. Zudem bewegten sie sich zitternd von einer Seite auf die andere, als wären sie ausgepustet worden.
Erst beim vorsichtigen Näherschleichen erkannten wir, daß der Sarg leer war.
»Keine Leiche«, murmelte der Oberkommissar und schaute mich an. Sein Gesicht war weiß. Im Gegensatz dazu standen die dunklen, unheimlichen Mauern der Gruft, die etwas abstrahlten, was man nicht beschreiben und nur fühlen konnte.
»Die hat Kollege Mallmann ja über der Zoobrücke gesehen«, sagte ich.
»Okay, aber wie konnte sie den Sarg verlassen?«
»Als Zombie schafft man das.«
»Hören Sie auf, Sinclair! Das gehört ins Kino.«
»Nicht nur.«
»Dann erklären Sie mir mal, wie Zombies entstehen können, außer in den Hirnen der Regisseure und Schriftsteller.«
»Durch Voodoo zum Beispiel, ich dachte dabei an einen schrecklichen Fall in New Orleans, der mich auf die Insel Voodoo-Land geführt hatte, auf der ein Mann über eine Armee von Zombies geherrscht hatte.«
Herkner grinste. »Wir sind aber nicht in Mittelamerika.«
»Trotzdem ist vieles herübergekommen, das sollten Sie nicht vergessen. Auch andere Dämonen verlassen sich gern auf lebende Leichen, wobei es dann zahlreiche Variationen gibt.«
»Das ist mir zu hoch.«
»Lassen wir es. In unserem Fall haben wir es zum Glück nur mit einer Person zu tun.«
»Die verdammt gefährlich werden kann, wenn wir sie nicht stellen.«
Da hatte er recht.
Gemeinsam suchten wir die Gruft ab, forschten nach irgendwelchen Hinweisen auf einen Verbleib der schon lange toten Gertrude Ricardis, aber nichts fanden wir.
Nur diesen verdammten Sarg.
»Und woher ist der Nebel gekommen?« fragte der Oberkommissar.
Darüber hatte ich auch schon nachgedacht. »Tut mir leid, ich bin nicht allwissend. Keine Ahnung.«
»Er muß doch aus einer der Wände gekrochen sein oder…«
»Nein, hier!«
Ich hatte es gesehen. Es war eigentlich ein Zufall gewesen, weil Herkner die Lampe geschwenkt hatte und der gerade Strahl auch über den halb zerstörten Sarg geglitten war. Und genau in diesem fahlgelben Streifen waren die Schwaden dichter als zum Beispiel am Ausgang oder an den Seitenwänden.
»Das ist die Quelle!«
Herkner hatte verstanden, beobachtete die feinen Schwaden im Licht,
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