0394 - Die Unheimliche vom Schandturm
dem hochkant gestellten Grabstein der Gruft befand sich eine völlig normale Rasenfläche. Sie schloß mit dem Stein ab, der eine dunkle Farbe zeigte und nicht poliert war. Ich hatte Mühe, die Inschrift zu entziffern.
Gertrude Ricardis!
Mehr stand dort nicht. Kein Geburtsdatum, kein Sterbetag, nur dieser schlichte Name.
Ich las ihn und drehte mich um. »Wir sind hier richtig, Freunde.«
Nur zu Mallmann und Petra hatte ich gesprochen, denn Armin Herkner war verschwunden. Ich sah ihn nicht, aber ich hörte ihn. Er hatte sich in die Büsche geschlagen, um von der Rückseite her an das Grab heranzukommen. Keine schlechte Idee von ihm. Möglicherweise gab es dort einen Einstieg in die Gruft.
Links am Grabstein schaute ich vorbei und sprach ihn an. »Haben Sie etwas gefunden?«
»Ja. Kommen Sie. Das ist ja unwahrscheinlich.«
Mich hielt nichts mehr. Auch Will hatte die Worte gehört und hielt sich an meiner Seite. Gemeinsam bogen wir die Zweige weg, um freie Sicht zu bekommen, und da sahen wir es auch.
Es war die Platte im Boden.
Mit Moos überwuchert, von Zweigen bedeckt, die Herkner allerdings abgeknickt hatte. Auf der Plattenmitte befand sich ein Eisenring. Mit seiner Hilfe konnte man sie hochheben.
Was mich erst recht stutzig werden ließ, waren die dünnen Nebelschleier, die aus den Ritzen zitternd in die Höhe stiegen, geruchlos waren und sich vor unseren Gesichtern verteilten.
»Da ist sie doch herausgekommen«, sagte Herkner. Er erntete von uns keinen Widerspruch. Ich bückte mich schon, umfaßte den Ring mit einer Hand, zog, gab auf, nahm die andere Hand dazu und schaffte es nicht einmal, die Steinplatte anzuheben.
»Vielleicht zusammen«, meinte Will.
Zum Glück war der Ring breit genug, daß er unsere Hände faßte.
Wir strengten uns an, keuchten, die Platte bewegte sich, verstärkten unsere Bemühungen und schafften es tatsächlich, sie so weit in die Höhe zu ziehen, daß sie über der Öffnung schwebte.
Sofort drückten wir sie zur Seite und schoben sie dann über den feuchten Grasboden.
Jetzt lag die Öffnung vor uns.
Wir keuchten, ruhten uns nicht aus, umstanden das Viereck und schauten hinein.
Geisterhafter Nebel quoll uns entgegen. Er hatte sich zu dicken Wolken zusammengeschlossen, bildete Schlieren, Arme, Gesichter und auch fratzenhafte Gestalten.
Ich war zurückgegangen, weil das Zeug mir den Atem raubte, aber der Nebel wurde dünner und die Sicht etwas klarer, so daß wir auch den Untergrund erkennen und feststellen konnten, daß er gar nicht mal so tief lag. Mit einem Sprung war er zu erreichen.
»Die sehe ich mir an«, sagte ich.
»Okay, ich komme mit.« Herkner wollte mich begleiten. Will Mallmann natürlich auch, dagegen hatte ich etwas.
»Bleib du lieber hier und halte uns unliebsame Überraschungen vom Leibe.«
»Ist gut«, antwortete er unwirsch.
»Sie zuerst?« fragte Herkner.
»Natürlich.« Ich trat noch einen Schritt näher, um am Rand der Öffnung in die Hocke zu gehen. Ein wenig rutschte ich vor, ließ die Beine baumeln und stieß mich ab.
Es war wirklich nicht sehr tief, als wäre ich aus einem normalen Parterre-Fenster gesprungen. Aus der Hocke richtete ich mich sofort wieder auf und schaute hoch.
»Kommen Sie.«
Zwei Sekunden später stand Oberkommissar Herkner neben mir.
Er hatte auch die Taschenlampe mitgebracht, die er sofort einschaltete, wobei der Lichtstrahl nicht viel hergab, weil er von den dünnen Nebelschleiern aufgesaugt wurde.
Ich wunderte mich über die Größe der Gruft. Will Mallmann würde uns kaum sehen können, wenn wir in der Tiefe verschwanden. Deshalb drehte ich mich noch einmal zu ihm um und gab dem Kommissar Bescheid.
»Schon verstanden, John.«
Armin Herkner und ich aber tauchten in das Düster der unheimlichen Grabstätte…
***
Kommissar Mallmann wartete. Nicht daß er wütend gewesen wäre, er ärgerte sich nur, daß er nicht schnell genug reagiert hatte und sein Kölner Kollege schneller gewesen war.
So mußten er und Petra Schwamborn eben warten.
Will drehte sich um. Er hatte schon eine Frage auf den Lippen, die er aber runterschluckte, denn von Petra sah er nichts. Sie war verschwunden. Dabei hatte sie fast hinter ihm gestanden und hätte ihn mit dem ausgestreckten Arm berühren können.
Sie war verschwunden. Wo lag der Grund? Hatte man dem jungen Mädchen vielleicht doch zuviel zugemutet? Erst der Leichenfund im Turm, dann der Angriff des Geisterschimmels, und nun kam noch die Umgebung dieser düster und unheimlich
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