0394 - Die Unheimliche vom Schandturm
der Mieter nach vorn hin liegen, so daß kaum jemand in den Hof hineinschauen kann.«
Nach diesen Worten öffnete er die Tür, und wir hörten das Anschlagen einer Glocke. Ich hatte das Gefühl, in den Vorraum eines Hotels aus der Jahrhundertwende zu treten, so gediegen war die Einrichtung. Viel Plüsch und Messing. Entsprechend dick waren auch die Teppiche, über die sich der Schein gelber Lampen ergoß.
Aus dem Hintergrund löste sich ein Mann im Frack. Die Haare hatte er um seine Halbglatze herumgekämmt. Mit höflicher Stimme erklärte er uns, daß sich in seinem Hause eine geschlossene Gesellschaft befände. Als er auf den Ausweis schaute, den Herkner ihm unter die Nase hielt, veränderte sich sein Tonfall.
»Polizei?« echote er.
»So ist es.«
Der Mann räusperte sich. »Und was wollen Sie hier?«
»Wir möchten Herrn Ricardis zum Geburtstag gratulieren, und es soll eine Überraschung werden.«
Plötzlich erschienen Schweißperlen auf der Halbglatze des Mannes. Er tupfte sie weg und sagte: »Ja, also, wenn Sie…«
»Danke, wir finden den Weg allein.«
Hinter dem Oberkommissar schritten wir her, öffneten eine Tür, erreichten einen Gang und hörten schon jetzt das Gelächter, das im Hof aufklang und uns durch eine offenstehende Tür entgegenschallte. Dazwischen knallte der Korken einer Champagnerflasche, und jemand rief laut: »Prost!«
Wir blieben an der Tür für einen Moment stehen, um uns den ersten Überblick zu verschaffen.
Die Gesellschaft saß um einen großen runden Tisch, der mit Speisen und Gläsern beladen war. Neben dem Tisch warteten zwei Ober, denn dort war noch ein kleines kaltes Büfett aufgebaut worden. Auf einem Gaskocher standen zwei Kupfertöpfe.
Bunte Girlanden bewegten sich im Wind. Farbige Glühbirnen gaben den richtigen Partyzauber, und das bunte Licht zuckte auch über die begrenzenden Hauswände des Innenhofs.
Erst nach einiger Zeit fielen wir auf. Ein dunkelhaariger Mann stand auf. Er schwankte bereits und hielt sich an der Stuhllehne fest, als er uns mit der anderen Hand zuwinkte. »Hallo, habe ich Familienzuwachs bekommen?«
Die anderen lachten und wurden auf uns aufmerksam.
Wir schlenderten näher, so daß ich Zeit und Muße hatte, mir das Völkchen anzusehen.
Da waren die Frauen perfekt geschminkt und gekleidet wie in einem Modejournal. Schmuck glänzte und klimperte. Altersmäßig ging es quer durch den Garten, auch was die Frisuren betraf. Vom Punker-Haarschnitt bis hin zur Löwenmähne einer schwarzhaarigen, gut gewachsenen Schönheit im hellweißen Kleid war alles vertreten.
Die Männer kamen mir eingebildet vor. Die meisten von ihnen, auch in Weiß gekleidet, gaben sich dandyhaft.
»Herr Ferdy Ricardis?« fragte der Oberkommissar.
Der Aufgestandene hob seinen schmalen Champagnerkelch. »Das bin ich.«
»Kann ich Sie einen Augenblick sprechen?«
Er lachte blitzend. »Und mit wem habe ich das Vergnügen?«
»Ich bin Oberkommissar Herkner.«
Ferdy Ricardis Lächeln erstarb, und seine Augen wurden schmal.
»Was wollen Sie von mir?«
»Nur mit Ihnen reden, Herr Ricardis.«
Der Mann überlegte. Sein Glas ließ er los. Das Hemd hatte er weit aufgeknöpft. Kräuselndes dunkles Haar wuchs auf seiner Brust fast so dicht wie ein Pelz.
»Wirf doch die Bullen raus, Onkel!« Den Satz sagte ein typischer Dandy-Schnösel, der sich auf sein oder das Vermögen seiner Verwandten wer weiß etwas einbildete. Er sprach – so hatte ich später erfahren –, einen breiten Kölner Dialekt, und sein blondes Haar hatte er zu einer Hochfrisur gekämmt.
Eine Frau wies ihn scharf zurecht.
Der Schnösel grinste dümmlich und hielt zum Glück den Mund.
Ferdy Ricardis hatte sich entschlossen. Nickend teilte er uns dies mit. »Also gut, meine Herren, was wollen Sie von mir?«
»Nicht hier«, meinte der Oberkommissar. »Können wir hineingehen?«
»Nein.«
»Wenn Sie nicht wollen, bitte.« Es gab noch einen kleinen freien Tisch in der Nähe. Dort hatten wir alle Platz und stellten uns zunächst vor. Der Mann wunderte sich darüber, auch Besuch von einem Yard-Beamten bekommen zu haben und fragte, ob der Fall wirklich so gravierend wäre.
Die anderen Mitglieder der Sippe spitzten die Ohren, wir aber sprachen sehr leise. Und als Herkner davon redete, daß die Existenz der Familie Ricardis auf dem Spiel stünde, begann der Mann zu lachen.
»Das darf doch nicht wahr sein.«
»Doch.«
Man servierte Champagner. »Wollen Sie auch ein Glas?«
Wir verzichteten.
Ricardis trank
Weitere Kostenlose Bücher