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04 - Die Tote im Klosterbrunnen

04 - Die Tote im Klosterbrunnen

Titel: 04 - Die Tote im Klosterbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
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herschleppte.
    »Bald erreichen wir ruhigere Gewässer«, sagte Ross besänftigend. Er hatte Mitleid mit ihr, denn sie vermochte den Kummer, den ihre Entdeckung ihr bereitete, kaum zu verhehlen.
    »Könnten es Sklavenhändler gewesen sein?« fragte sie plötzlich, ohne Vorrede.
    Ross überlegte einen Augenblick. Es war bekannt, daß Plünderer auf der Suche nach Sklaven häufig in irische Gewässer vordrangen und gelegentlich sogar Küstendörfer oder Fischerboote überfielen und die Einheimischen verschleppten, um sie auf den Sklavenmärkten in den sächsischen Königreichen zu verkaufen, manchmal sogar weiter weg in Iberien, Franken und Germanien.
    »Vielleicht haben Sklavenhändler das Handelsschiff überfallen und alle Anwesenden mitgenommen?« hakte Fidelma nach, als er zögerte.
    Ross schüttelte den Kopf.
    »Mit Verlaub, Schwester, aber das glaube ich nicht. Wenn, wie Ihr meint, Sklavenhändler das Handelsschiff gekapert hätten, warum haben sie dann nicht einfach ein Prisenkommando an Bord gelassen, um es in ihren Heimathafen zurückzusegeln? Warum sollten sie die Besatzung und, was noch merkwürdiger ist, die Ladung mitnehmen und das Schiff zurücklassen? Sie würden dafür doch genausoviel, wenn nicht noch mehr Geld bekommen als für die Besatzung und die Ladung.«
    Fidelma konnte dieser Logik nicht widersprechen. In der Tat, warum sollten sie das gepflegte, gut in Schuß gehaltene Schiff zurücklassen? Sie seufzte hörbar, da sie auf die vielen Fragen, die in ihrem Kopf herumschwirrten, nicht sofort Antworten fand.
    Die junge Nonne bemühte sich, nicht noch mehr Energie darauf zu verschwenden, Fragen zu stellen, die sie unmöglich beantworten konnte. Ihr Mentor, Brehon Morann von Tara, hatte sie gelehrt, daß es nutzlos war, Antworten für Probleme zu suchen, bevor sie die Fragen kannte, die zu stellen waren. Doch es gelang ihr nicht, einen klaren Gedanken zu fassen, selbst dann nicht, als sie in der Kunst des dercad Zuflucht suchte, einer Art Meditation, die schon zahllosen Generationen von irischen Mystikern geholfen hatte, nebensächliche Überlegungen und nervliche Überreizung zu bezwingen.
    Fidelma beschloß, sich auf die näherkommende Küstenlandschaft zu konzentrieren. Sie hatten jetzt die Einfahrt der großen Bucht erreicht und segelten nah am Südufer der bergigen Halbinsel entlang. Die kalten Windböen und unberechenbaren Wellen ebbten allmählich ab, während sie in die geschützteren Gewässer einfuhren. Als sie die knollenförmige Insel an ihrer Backbordseite liegen sahen, wurde das Meer wesentlich ruhiger, denn das Festland schützte sie nun vor der vollen Wucht des Windes. Nur wenige Wolken zeigten sich am zartblauen Himmel, in dem hoch oben die blaßgelbe Sonnenscheibe hing, ohne die geringste Wärme abzugeben. Die Landschaft schien in durchsichtigen Pastelltönen gemalt zu sein.
    »Weiter vorne öffnet sich eine große Meerenge«, kündigte Ross an. »Dort liegt die Abtei Der Lachs aus den Drei Quellen. Dort, in den ruhigen Gewässern, werden wir vor Anker gehen.«
    Trotz ihrer Sorge um Bruder Eadulfs Schicksal war Fidelma nicht ganz unempfänglich für die Ruhe und die heitere Schönheit der Meerenge. Sie war auf allen Seiten von Eichenwald umgeben, der sich an den Berghängen hinaufzog und von Nadelgehölzen der verschiedensten Art umsäumt war. Im Sommer mußte es hier atemberaubend aussehen: all die farbenprächtigen Blumen, all die Bäume in den unterschiedlichsten Grüntönen. An den Ufern der Durchfahrt erhoben sich die Berge. Ihre kahlen Gipfel waren mit Schnee bestäubt und ihre Abhänge mit Granitbrocken übersät. Ein tosender Bach ergoß sich in die Bucht, genau dort, wo sich auf einer Landzunge eine kleine, runde Festung erhob. Beim Anblick seines glitzernden, kristallklaren Wassers schauderte Fidelma schon allein bei der Vorstellung, wie kalt es sein mochte.
    »Dort liegt die Festung von Adnár, dem bó-aire dieses Bezirks.« Ross deutete mit dem Daumen hinüber.
    Ein bó-aire war, wörtlich verstanden, ein Kuh-Häuptling, ein Häuptling ohne Landbesitz, dessen Vermögen nach seinem Viehbestand bemessen wurde. In ärmeren Gegenden fungierte der Kuh-Häuptling auch als eine Art Friedensrichter. Er hatte den mächtigeren Häuptlingen gegenüber loyal zu sein und ihnen für seine Stellung und seinen Rang einen Tribut zu zahlen.
    Fidelma versuchte mit aller Gewalt, ihre Gedanken zurück zu dem Auftrag zu lenken, dessentwegen sie aufgebrochen war.
    »Die Festung von Adnár?«

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