Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
04 - Die Tote im Klosterbrunnen

04 - Die Tote im Klosterbrunnen

Titel: 04 - Die Tote im Klosterbrunnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Tremayne
Vom Netzwerk:
festgebunden, in den Buchstaben in Ogham eingeritzt waren.«
    »Und was habt Ihr Euch dabei gedacht?«
    »Dabei gedacht?«
    »Was bedeuteten die Zeichen? Ihr habt doch sicherlich genau erkannt, was dort stand.«
    Brónach hob die Schultern.
    »Ich kann zwar erkennen, daß es sich um Buchstaben der Oghamschrift handelt, wenn ich welche sehe, aber lesen kann ich sie nicht.«
    »Hat Schwester Síomha sie gelesen?«
    Brónach schüttelte den Kopf, hob den bronzenen Kessel vom Feuer, fischte die einzelnen Kleidungsstücke mit einem Stock heraus und legte sie in eine Wanne mit kaltem Wasser.
    »Also war keine von Euch beiden in der Lage, die Inschrift zu lesen oder ihren Sinn zu entziffern?«
    »Ich sagte der Äbtissin, daß ich sie für eine Art heidnisches Symbol hielt. Haben unsere Vorfahren nicht Zweige an Verstorbenen festgebunden, um sie vor den rachsüchtigen Seelen der Toten zu schützen?«
    Fidelma musterte die ältere Schwester prüfend, doch wandte ihr diese den Rücken zu und bückte sich, um das Wasser aus den Kleidern zu schlagen.
    »Davon habe ich noch nie gehört, Schwester Brónach. Was meinte die Äbtissin zu Eurer Idee?«
    »Äbtissin Draigen behält ihre Meinung meistens für sich.«
    Irrte Fidelma, oder klang die Antwort tatsächlich ein wenig schnippisch?
    Fidelma erhob sich aus der Wanne und griff nach dem Trockentuch, bevor sie hinauskletterte. Energisch rieb sie sich ab und genoß das belebende Prickeln in ihren Gliedern. Sie fühlte sich erfrischt und entspannt und schlüpfte in die sauberen Kleider. Seit ihrer Rückkehr aus Rom frönte sie dem Luxus, Unterhemden aus weißer sida – Seide – zu tragen, die sie von dort mitgebracht hatte. Ihr entging nicht, daß Schwester Brónach einen Blick auf ihre Unterkleider warf, einen fast neidischen Blick, die erste Gefühlsregung, die Fidelma in ihrem ansonsten so unbewegten Gesicht feststellen konnte. Über die Unterwäsche zog Fidelma ihr braunes inar oder Überkleid, das fast bis zu den Füßen reichte und von einer mit Troddeln geschmückten Schnur um die Taille zusammengehalten wurde. Dann schlüpfte sie in ihre wohlgeformten, spitz zulaufenden Lederschuhe, cuaran , die am Spann mit einer Ziernaht versehen waren und paßten, ohne daß man sie mit Riemen zubinden mußte.
    Nun wandte sie sich zum Spiegel und vollendete ihre Toilette, indem sie ihr langes, widerspenstiges rotes Haar in Ordnung brachte.
    Schwester Brónach war still geworden und noch mit dem Waschen von Fidelmas Kleidern beschäftigt.
    Fidelma belohnte sie mit einem Lächeln.
    »Na also, Schwester. Jetzt fühle ich mich wieder wie ein Mensch.«
    Schwester Brónach beschränkte sich darauf, ohne weiteren Kommentar zu nicken.
    »Gibt es noch irgend etwas, was Ihr mir sagen solltet?« drängte Fidelma. »Zum Beispiel, was geschah, nachdem Ihr und Schwester Síomha den Leichnam aus dem Brunnen gezogen hattet?«
    Schwester Brónach hielt den Kopf gesenkt.
    »Wir sprachen ein Gebet für die Tote, und dann ging ich die Äbtissin holen, während Schwester Síomha bei der Leiche blieb.«
    »Und Ihr kehrtet unverzüglich mit der Äbtissin zurück?«
    »Sobald ich sie gefunden hatte.«
    »Und Äbtissin Draigen nahm die Sache in die Hand?«
    »Selbstverständlich.«
    Fidelma ergriff ihre Tasche und wandte sich zur Tür. Dort hielt sie einen Augenblick inne und warf einen Blick zurück.
    »Ich bin Euch sehr dankbar, Schwester Brónach. Ihr führt Euer Gästehaus sehr gut.«
    Schwester Brónach hielt ihren Blick gesenkt.
    »Ich tue nur meine Pflicht«, erwiderte sie knapp.
    »Damit jedoch die Pflicht einen Sinn bekommt, muß man sie gerne tun«, entgegnete Fidelma. »Mein Mentor, Brehon Morann von Tara, sagte einmal: wenn Pflicht nur noch Zwang ist, hört das Vergnügen auf, denn die oberste Pflicht ist die Pflicht, glücklich zu sein. Gute Nacht, Schwester Brónach.«
     
    In ihrem Gemach musterte Äbtissin Draigen Fidelma – das Gesicht noch gerötet, die Haut noch prickelnd von der Wärme des Bades – mit neidvoller Anerkennung. Die Äbtissin saß an ihrem Tisch, vor sich ein in Leder gebundenes Evangelium, in dem sie gerade gelesen hatte.
    »Setzt Euch, Schwester«, lud sie Fidelma ein. »Möchtet Ihr mit mir ein Glas Glühwein trinken, um die abendliche Kühle zu vertreiben?«
    Fidelma zögerte nur einen Augenblick.
    »Ja, vielen Dank, Mutter Oberin«, sagte sie. Auf dem Weg hierher, als eine junge Novizin, die sich als Schwester Lerben vorstellte und als persönliche Dienerin der Äbtissin,

Weitere Kostenlose Bücher