04 - Herzenspoker
ausschweifendes Leben geführt
haben mochte, so war er doch ein Angehöriger der großen Welt, vergleichbar mit
Mr. Brummell. Wo sie stolperte, schritt er mit selbstverständlicher Lässigkeit
auf den Pfaden der Gesellschaft dahin - eine Kunst, die nur die
beherrschten, die dazugehörten. Er war allein mit ihr gewesen, er hatte sie in
der Öffentlichkeit geküsst. Er hatte das Gefühl, dass er sie heiraten musste.
Er ging
neben ihr her und hakte sie unter. Nur einmal sprach er mit ihr, um sie daran
zu erinnern, dass er die Pistole in der Tasche hatte.
»Warum sieht Esther
so bleich und unglücklich aus?« fragte Amy Miß Fipps im Flüsterton.
»Die Aufregung«,
antwortete Miß Fipps. »An ihrem Hochzeitstag sehen alle Damen so aus.«
Beruhigt
umklammerte Amy ihren kleinen Blumenstrauß und bereitete sich darauf vor, ihren
Platz hinter Esther am »Altar« einzunehmen - einem mit rotem Samt
drapierten Schreibtisch, der an der Stirnseite des Salons aufgebaut war. Der
Pfarrer, Hochwürden Abraham Pascombe, machte den Eindruck, als unterdrücke er
seine Wut nur mühsam, und so war es auch. Er hatte sich in seinem ganzen Leben
noch nicht derart nüchtern gefühlt. Weder Mr. Roger noch Lord Guy hatten ihm
erlaubt, sich mit etwas anderem als Kaffee zu stärken, und vertrösteten ihn
damit, dass er nach der Hochzeit soviel trinken könne, wie er wolle. Er leierte
die Worte, die zur Hochzeitszeremonie gehörten, langsam und gedehnt herunter,
bis er aus dem Speisezimmer jenseits der Halle, wo die Diener das
Hochzeitsessen vorbereiteten, einen Korken fröhlich knallen hörte. Seine Laune
hellte sich spürbar auf, und er haspelte den Rest der Zeremonie mit beinahe
unwürdiger Eile herunter.
So
unglücklich und verwirrt Esther auch war, sie konnte nicht anders, sie musste
Mr. Rogers Tüchtigkeit und Miß Fipps, Talente bewundern. Wie war es ihnen bloß
in so kurzer, Zeit gelungen, nicht nur einen Brautstrauß für sie selbst,
sondern auch ein
Sträußchen
für Amy und riesige Blumengebinde für den Salon zu beschaffen? Sie brachte es
mühsam fertig, ihre Antworten zu stammeln, und hob nur einmal erstaunt die
Augenbrauen, als sie meinte, der Pfarrer habe gemurmelt: »Nun, beeilt euch doch
schon!«
Kaum
waren sie und Lord Guy feierlich zu Mann und Frau erklärt, als sich die
Flügeltüren, die zur Halle führten, öffneten, und ein kleines Orchester, das
Mr. Roger erstaunlicherweise gefunden und aus einem Hotel in der Nähe herbeigeschleppt
hatte, begann den Hochzeitsmarsch zu spielen.
Beim
Abendessen brachte Mr. Roger einen Toast auf das Wohl der Braut und des
Bräutigams aus. Vom Wein milde gestimmt, erhob sich auch der Pfarrer noch
einmal und hielt eine Rede, die überraschend weltmännisch und geistreich war.
Er war jetzt in dem Stadium, wo er genug getrunken hatte, um gewandt zu sein,
und doch noch nicht, so viel,
dass
er rührselig wurde. Lord Guy hielt ebenfalls eine reizende Rede. Er betrachte
sich als der glücklichste aller Männer, sagte er, und schaute seine Braut
nachdenklich an, als ob er für ihren Sarg Maß nehmen wollte.
Esther,
die Wein nicht gewohnt war, trank viel. Zuerst half es und hob ihre Stimmung,
so dass sie allmählich glaubte, dass er sie wirklich liebte und nicht nur tat,
was er für seine Pflicht hielt.
Aber
als sich das Essen dem Ende näherte und die müden Kinder nach oben ins
Kinderzimmer gebracht wurden, stellte sie fest, dass sie wieder nüchtern wurde.
Und sehr ängstlich.
Schließlich
war es Zeit, mit ihrem Herrn und Gebieter nach oben ins Bett zu gehen. Miß
Fipps weinte ein bisschen und küsste Esther herzlich. Mr. Roger küsste sie
ebenfalls und hielt dann den Pfarrer zurück, der mit einem lüsternen Glanz in
den Augen auf Esther zuging.
Lord
Guy bot Esther den Arm und geleitete sie aus dem Zimmer.
Sie
blieben in der Halle stehen und sahen einander an. Esther trug ein weißes
Seidenkleid mit aus Silberfäden gewebtem Tüll darüber, der von feinen
Silberspangen gehalten war. Auf ihren roten Haaren glänzte ein mit Diamanten
besetztes Diadem. Miß Fipps hatte nämlich darauf hingewiesen, dass bei
Hochzeiten Diamanten »nicht fehl am Platze« seien. Das Kleid hatte Esther eigentlich
bei ihrem Debüt im Almack tragen wollen. Sie würde jetzt das Almack nie mehr
von innen sehen, überlegte sie, aber das erschien ihr ganz belanglos.
Sie
nahm ihren Mut zusammen und blickte zu ihm auf: »Jetzt haben Sie Ihre Pflicht
getan, Mylord«, sagte sie, »ich wünsche Ihnen gute
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