04 - Herzenspoker
ängstlich. »Wo wollen Sie absteigen, Miß Jones? In
einem Hotel?«
»Nein«,
sagte Esther. »Ich will ein Haus mieten.«
»Vielleicht
gibt es
keines zu mieten«, wagte Miß Fipps einen schüchternen Einwand.
»Dann
kaufe ich eines«, sagte Esther.
Miß
Fipps seufzte. Wie wundervoll, so viel Geld zu haben, dass es ganz gleichgültig
war, ob man ein Haus mietete oder
kaufte.
Sie wußte nicht, dass Esther, die normalerweise sehr sparsam war, nur deshalb
bereit war, Geld auszugeben, weil sie hoffte, durch äußere Bequemlichkeiten die
seelischen Verletzungen, die ihr Lord Guy zugefügt hatte, ein bisschen lindern
zu können.
Miß
Fipps war müde, und es war ihr ein wenig übel vom ständigen Schwanken der
Kutsche. Sie war davon überzeugt, dass sie bis zum Einbruch der Nacht nach
einem Haus suchen würden und sich dann doch mit einem Hotel zufriedengeben müssten.
Aber
kaum waren sie in Brighton angelangt, da sandte Esther auch schon ihre Lakaien
aus, um nach Agenturen, die Häuser verkauften oder vermieteten, zu suchen.
Binnen einer Stunde hatten sie ein elegantes Haus am Steyne samt Personal für
einen Monat gemietet. Seine Besitzer, die nicht damit gerechnet hatten, dass
sich vor dem Sommer ein Mieter finden würde, waren so überwältigt von dem
großzügigen Angebot an barem Geld gewesen, dass sie Hals über Kopf ausgezogen
waren und einen Monat lang ihren Verwandten zur Last fallen wollten.
Esther
stand in einem hübschen Wohnzimmer und stieß wie ein General Befehle aus. Die
Kutsche sollte nach London zurückkehren und das übrige Gepäck vom Berkeley
Square holen. Das neue Hausmädchen, Charlotte, sollte die Koffer auspacken,
damit sie ihre Ausbildung unter Esthers Aufsicht beginnen konnte. In allen
Räumen sollte Feuer gemacht werden. Begleitet von der Haushälterin, ging Esther
durch die Schlafzimmer und begutachtete die Betten, um sich zu überzeugen, dass
sie trocken und gut gelüftet waren . Dann kamen die Kellerräume an die
Reihe, damit sie feststellen konnte, ob genug Vorräte vorhanden waren, und
danach überzeugte sie sich in den Speisekammern, dass genug Essen für den
Anfang da war.
Es ging
schon auf sechs Uhr abends zu. Die Kinder forderten stürmisch einen Spaziergang
an der See, und Esther, die Angst davor hatte, sich hinzusetzen und
nachzudenken, willigte ein.
Es war-
ein kühler Frühlingsabend, an dem sie am Kiesstrand entlangging, während die
Kinder vor ihr herliefen. Die Wellen rollten an den Strand und zogen sich
wieder zurück, und dabei bewegten sie den Kies mit einem traurigen, seufzenden
Ton. Die Sonne ging gerade unter und warf einen langen goldenen Pfad über die
See von der Küste bis zum Horizont.
Wie
wundervoll wäre es, dachte Esther in ihrer Verzweiflung, auf diesem goldenen
Pfad zu gehen, immer weiterzugehen, bis die See den Kopf bedeckte den
kurzgeschnittenen Kopf, der dem wankelmütigen und treulosen Lord Guy nicht
gefallen hatte.
Als sie
die Gestalten zweier Männer aus der Ferne am Strand entlang auf sich zukommen
sah, rief sie die Kinder gebieterisch zu sich. Sie hatte weder ein Mädchen noch
einen Lakaien dabei und wollte nicht, dass zwei junge Männer sie für eine
Gouvernante oder ein Kindermädchen hielten. Dabei bedachte sie nicht, dass ihre
teure neue Garderobe und ihre strenge,- hochmütige Miene einen solchen
Irrtum nahezu unmöglich machten.
Aber
Peter und Amy schienen ihre Rufe nicht zu hören, da sie in einiger Entfernung
herumrannten und spielten und einander irgend etwas zuriefen.
Sie
rief noch einmal, diesmal noch energischer. Aber zu ihrem Schrecken rannten die
Kinder jetzt auf die beiden näher kommenden Gestalten zu. Die eine war groß und
schlank und elegant die andere untersetzt und dunkelhäutig.
Mit
heftig klopfendem Herzen erkannte Esther Lord Guy und Mr. Roger.
Die
plötzlich in ihr aufkeimende Hoffnung machte sie schwindlig. Amy und Peter
waren bei Lord Guy angekommen. Er lachte zu ihnen hinunter, wühlte Peter durch
die roten Locken und ging dann, an jeder Hand ein Kind, auf Esther zu.
Als er
vor ihr stand, lachte er gerade über etwas, was Peter gesagt hatte, aber der
Blick, den er Esther zuwarf, war streng und kalt.
Er hob
die Hand, als sie beginnen wollte zu sprechen, und sagte: »Tommy, bring die
Kinder nach Hause und sage ihnen, was heute abend los ist. Kinder, wir werden
ein Fest feiern, und ihr müsst eure besten Sachen anziehen und euch tadellos
benehmen.«
»Ein Fest!«
schrie Amy vor Freude. »Was feiern
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