04 - komplett
können sich hier nicht so benehmen – dies ist ein heiliger Ort!“, wandte Eleanor ein, wobei sie sich aus seinem Arm zu befreien versuchte.
„Warum nicht hier?“, widersprach ihr Gatte liebenswürdig. „Der Gefühle für meine Ehefrau muss ich mich nicht schämen ...“
Eleanor gab einen protestierenden Laut von sich, den Kit mit einem Kuss erstickte, worauf sie ihre kleinen Hände gegen seine Brust stemmte, um ihn wegzustoßen.
Doch ohne zu wissen, was sie tat, schlang sie ihm stattdessen die Arme um den Nacken. Daraufhin standen sie lange so im Kirchenschiff, atemlos und mit klopfenden Herzen, und vergaßen alles um sich herum.
Schließlich lockerte Kit seine Umarmung, sodass sie sich in die Augen schauen konnten, und Eleanor erkannte in den seinen dieselbe Frage, die sie auch in den ihren trug. In der Erkenntnis, wie innig sie ihren Gemahl liebte – und dass sie nichts dagegen tun konnte –, ergriffen sie Verwirrung und Hoffnungslosigkeit.
„Eleanor ...“, murmelte Kit mit belegter Stimme und strich ihr eine lose Haarsträhne aus dem Gesicht.
„Da seid ihr ja!“, ließ Lady Salome sich laut durch den Hauptgang vernehmen.
„Vergebt mir, dass ich euch so lange warten ließ! Hoffentlich habt ihr euch nicht gelangweilt?“
„Überhaupt nicht, Madam“, antwortete Kit, seiner Gattin zulächelnd.
Lady Salomes Blick wanderte wissend von ihm zu Eleanor und verweilte dort.
„Du lieber Himmel, du siehst recht erhitzt aus, Kind!“, bemerkte sie besorgt. „Lasst uns an die frische Luft gehen!“ Resolut hakte sie sich bei beiden ein und führte sie nach draußen, während Eleanor blitzartig der Vision erlag, in allen Kirchen Londons von ihrem Gemahl geküsst – und in einer festlichen Zeremonie noch einmal geheiratet zu werden ... Als Kit ihr wenig später in die Kutsche half, setzte sie sich in eine Ecke und ließ während der Fahrt die Wahrzeichen der Stadt an sich vorüberziehen, ohne wirklich etwas wahrzunehmen.
Nun stand es fest: Sie konnte ihre Liebe für Kit nicht länger leugnen, was sie teils mit Glück, teils aber mit großem Schrecken erfüllte. Denn wünschte sie sich nun auch nichts sehnlicher als eine Versöhnung, fand sie es ihm gegenüber nicht anständig, die Verbindung zu festigen, da sie ihm keine Kinder schenken konnte, wie er es ersehnte.
Mutlos ließ sie ihren Kopf gegen das Polster sinken und schloss die Augen, während sie in der Tiefe ihres Herzens deutlich ahnte, was sie zu tun hatte.
„Nun denn, meine Liebe“, sprach Tante Trevithick zu ihrer Nichte, während sie gemeinsam im Esszimmer in der Montague Street bei einem kalten Lunch saßen,
„mir scheint, in dieser Familie gibt es vieles, was besprochen werden muss!
Glücklicherweise kam ich mit genau dieser Absicht aus Devon hierher; jetzt gilt es lediglich zu entscheiden, womit am besten zu beginnen ist!“
Verblüfft hob Eleanor den Kopf, die sich, als Kit in seinen Club ging, auf ein gemütliches Beisammensein mit Lady Salome gefreut hatte. Diese, stets die unterhaltsamste ihrer Tanten, hatte inzwischen sowohl den Hut mit den Straußenfedern als auch den blauen Spenzer abgelegt, sodass ihr rotes Kleid samt den darauf prangenden Juwelen in all seiner Herrlichkeit zur Geltung kam.
Nachdenklich schenkte Eleanor Tee nach. „Was meinen Sie damit, verehrte Tante?“, fragte sie. „Haben Sie in der kurzen Zeit, die Sie mit uns verbrachten, etwas Besonderes bemerkt?“
„Erstens hat man mir so manches berichtet, mein Kind, und zweitens brauchte es nur ein paar Stunden im Hause deines Bruders, um zu erkennen, dass dort einiges im Argen liegt ...“ Eindrucksvoll hob Lady Salome beide Augenbrauen. „Ach, die Ehe!“, sagte sie bedeutungsschwer. „Welch ehrbare Einrichtung, wenn man der Bibel Glauben schenkt! Doch wie kann ein Ehemann wohl glücklich sein, wenn sein Eheweib die Tür zu ihrem Schlafzimmer verschlossen hält, obwohl er bittend daran klopft? Dein Cousin Justin sieht übrigens so aus, als ob es ihm ganz ähnlich geht.
Genau wie Marcus wirkt er griesgrämig und unzufrieden!“
„Du meine Güte!“, stieß Eleanor mit gedämpfter Stimme aus, hatte sie doch fast vergessen, auf welch mitunter abstruse Weise Tante Trevithick ihren gesunden Menschenverstand mit christlicher Weltanschauung zu verquicken pflegte. Sie lief rot an, worauf Lady Salome ihr die Hand tätschelte.
„Das braucht dir nicht peinlich zu sein, meine Liebe!“, sprach sie ihr gut zu. „Ich gestehe, die Sache ist nicht uninteressant
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