04 - komplett
Zahnschmerzen und Migräne; wird es indes ständig eingenommen, um sich ein wohliges Gefühl zu verschaffen, ist der Sucht Tür und Tor geöffnet. Was alles andere als harmlos ist!“
„Es stimmt, dass Mama immer größere Mengen benötigt“, pflichtete Eleanor ihr bei,
„auch ist sie unglaublich launisch geworden, und ihre Gesundheit scheint zu leiden.
Sie bekommt das Mittel nicht vom Apotheker, wie es üblich ist“, gab sie zögernd preis. „Einer ihrer Bekannten versorgt sie damit, und ich glaube, dass sie ihn für diesen Dienst entlohnt. Warum sie diesen Weg vorzieht, weiß ich nicht ...“
„Wegen der großen Mengen“, konstatierte ihre Tante kurz und bündig. „Die Apotheker sind gehalten, nur kleine Rationen Laudanum abzugeben, um zu verhindern, dass arme Seelen sich damit das Lebenslicht ausblasen. Da deine Mutter sich an mehr als das übliche Quantum gewöhnt hat, muss sie es sich anderswo besorgen – und bezahlt mit anderer Leute Schmuck!“ Hier legte sie schützend die Hand auf ihre heiß geliebte Brosche und wirkte leicht verstimmt.
„Leider ist es nicht das erste Mal“, bekannte Eleanor verlegen. „Ich fürchte, dass das Rubinarmband aus dem Familienschmuck der Trevithicks bereits abhandenkam, und auch Charlottes Perlenarmband ging beim letzten Ball beinahe an Mama verloren.“
Ausführlich erzählte sie die Geschichte und brachte auch zur Sprache, dass ihre Mutter mitunter wie berauscht erschien. Es erleichterte Eleanor kolossal, sich endlich aussprechen zu dürfen, ohne sich des Verdachts der Illoyalität auszusetzen, sodass sie der Tante ihr Herz ausschüttete, während diese ihr, von Zeit zu Zeit mit der Zunge schnalzend, aufmerksam lauschte.
„Wir werden überlegen, wie am besten zu verfahren ist“, sprach Lady Salome, als Eleanor zum Ende kam. „Auf jeden Fall muss dieser Lord Kemble ausgeschaltet und deine Mutter vor sich selbst beschützt werden!“
„Wie gut, dass Sie gekommen sind, liebe Tante!“, brachte Eleanor ihre Dankbarkeit zum Ausdruck. „Möchten Sie noch ein Tässchen Tee?“
„Gern, mein Liebes“, antwortete Lady Salome und musterte ihre Nichte grüblerisch.
„Sicherlich wünschst du nun zu erfahren, wo ich derzeit deinen Gatten traf ...“
„Ja, in der Tat“, gab Eleanor zu. „Ich leugne nicht, dass ich schon sehr gespannt bin!“
„Vermutlich bist du darüber unterrichtet, dass Christopher in der Vergangenheit die eine oder andere ... Reise für Lord Castlereagh unternahm?“, fragte Lady Salome vielsagend zwinkernd.
„Seit Kurzem erst“, antwortete ihre Nichte, „als Kit mir davon erzählte. Davor war ich ganz ahnungslos.“
„Ich verstehe“, sagte ihre Tante mit wissendem Lächeln. „Für die Sicherheit des Landes ist Geheimhaltung oft oberstes Gebot!“ Damit ließ sie sich tiefer in den Sessel sinken. „Es war Anfang Februar, als wir uns trafen“, begann sie, die Geschichte zu entrollen. „Dass Christopher sich aufs Äußerste bemühte, so bald wie möglich zu dir zurückzukehren, war mehr als deutlich, Kind! Er klagte darüber, schon viel zu lange von dir getrennt zu sein, und vertraute mir an, welch unvorstellbar schlecht organisiertem Unternehmen er unterstand ... Aber es ist an ihm, dies genauer auszuführen, falls er es noch nicht getan hat ...“
„Zwar hat er mir einiges erklärt“, legte Eleanor mit ernster Miene dar, „mir aber den Grund für die Verzögerung bisher vorenthalten. Habe ich Sie recht verstanden, liebe Tante, dass Sie darüber etwas wissen?“
„Das will ich meinen!“, antwortete Lady Salome kräftig nickend. „Ich muss gestehen, dass ich mich in einer höchst prekären Lage befand, als ich deinen Gatten traf; da gibt es gar nichts zu beschönigen.“ Ein tiefer Seufzer entrang sich ihr. „Vielleicht ist dir bekannt, dass der Bischof meinen Bruder, John Trevithick, im letzten Herbst von Fairhaven Island nach Exeter versetzte? Hatte sich dein Onkel doch – und das in seiner Position als Vikar! – leider schon seit langen Jahren höchst beklagenswert benommen.“
Eleanor bejahte diese Frage, denn Marcus hatte vor einigen Monaten erwähnt, dass die Kirche ihren Onkel aus nicht näher bekannten Gründen nach Exeter abberufen hatte.
„Natürlich war davon auszugehen, dass der Bischof früher oder später Wind von Johns Problemen bekommen würde!“, fuhr ihre Tante fort. „Der Alkoholkonsum meines Bruders führte dazu, dass er häufig während des Gottesdienstes einschlief, was ihn nicht daran
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