04 - komplett
immer ein Gentleman blieb. Plötzlich erkannte sie, dass sie Seine Lordschaft wirklich sehr gern mochte.
Es wäre bestimmt interessant, ihn näher kennenzulernen.
„Sie haben sich hoffentlich von Ihrem Schrecken erholt, Miss Thornton“, sagte Vincent, während sie auf den Gasthof zugingen. Lady Longbourne befand sich gemeinsam mit Sarah einige Schritte vor ihnen. Glücklicherweise schien das kleine Abenteuer sie nicht weiter in Mitleidenschaft gezogen zu haben. Vincent erinnerte sich an die Umstände, die zum Tod ihres Vaters geführt hatten, und fügte leise hinzu:
„Es war äußerst bedauerlich, dass ich schießen musste.“
„Es stimmt, ich verabscheue Schusswaffen“, gab Cassie zu. „Aber ich war nur sehr kurz erschrocken. Sobald ich Sie sah, wusste ich, es gab keinen Grund, Angst zu haben.“
„Glauben Sie mir, ich würde nie zulassen, dass Ihnen etwas geschieht, wenn es in meiner Macht steht, es zu verhindern“, sagte er leise.
„Das weiß ich, Mylord, und ich bin sicher, Lady Longbourne auch. Sie hat nur in ihrem Schrecken nicht bedacht, was sie redete.“
Sein Lächeln brachte ihren Atem zum Stocken. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund begann ihr Herz, wild zu schlagen, und Cassie fragte sich verwirrt, was mit ihr geschehen sein mochte.
„Sie brauchen sich meinetwegen keine Sorgen zu machen, Miss Thornton“, versicherte er in sanftem Ton. „Mama ist es gewohnt, mir die Schuld an jeder ihrer Missstimmungen zu geben. Ich wehre mich nicht, weil ich weiß, dass ich tatsächlich zum Teil an ihrer Traurigkeit schuld bin.“
„Was meinen Sie damit?“, fragte sie ihn entsetzt.
„Sir Bertram war mit mir zum Angeln, als er sich erkältete. Diese Erkältung führte zu einem heftigen Fieber“, erklärte Vincent. „Wir waren sehr früh aufgebrochen und hatten geglaubt, es würde ein trockener Tag werden. Leider zog ein starkes Gewitter auf, und wir wurden beide bis auf die Haut nass. Mir selbst geschah nichts, doch er ... er wurde krank und starb bald darauf.“
„Oh, Himmel! Aber das war nicht Ihre Schuld!“
„Nein. Allerdings hatte ich den Angelausflug vorgeschlagen. Ich hatte Sir Bertram geneckt, dass er sich viel zu sehr im Haus vergrub. Mama warnte mich, dass er nicht so robust sei wie ich, aber ich glaubte ihr nicht. Ich dachte, die frische Luft würde ihm guttun. Leider sollte ich mich irren. Was dann geschah, habe ich seitdem unzählige Male bereut.“
„Sie hatten es nur gut gemeint“, tröstete Cassie. „Ich kann nicht einsehen, warum man Ihnen die Schuld geben soll, Mylord. Solche Dinge liegen meist nicht in unserer Hand.“
„Sie wollen mich von jeder Sünde freisprechen, Miss Thornton“, sagte er mit einem Lächeln. „Ich bin Ihnen sehr verbunden.“
„Ach, Sie können mir nichts vormachen, Mylord“, schalt Cassie ihn, musste aber lachen, als er ihr zuzwinkerte. „Warum haben Sie eigentlich Tara mitgenommen?“, fiel ihr plötzlich ein. „Ich habe ihr Geld für die Postkutsche gegeben und ein wenig mehr für die Zeit, bis sie eine Arbeit findet. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Lady Longbourne sie in ihrem Haushalt behalten möchte.“
„Nein, ich auch nicht“, meinte Vincent schmunzelnd. „Tara hat mir von dem Geld erzählt und wollte es Ihnen zurückgeben.“ Er wurde ernst. „Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie sie vor einem bösen Herrn retteten, damit sie in die Klauen eines anderen gerät.“ Er lächelte, als Cassie den Kopf schüttelte. „Nein, das dachte ich mir schon. Sie war entschlossen, nach London zu fahren, also schlug ich ihr vor, zunächst in der Küche meines Stadthauses zu arbeiten. Offenbar kocht sie gern, wenn man ihr die Gelegenheit gibt, und so überlegte ich, sie könnte Monsieur Marcel zur Hand gehen.“
„Ist er Ihr Koch?“, fragte Cassie unschuldig.
Einen Moment lang stellte Vincent sich genüsslich vor, wie Monsieur Marcel wohl darauf reagieren würde, wollte jemand ihn als bloßen Koch bezeichnen, und unterdrückte ein Lachen. „Ich selbst würde es nicht wagen, ihn so zu nennen. Er ist Franzose, wissen Sie, und ein wenig temperamentvoll. Seiner Meinung nach ist er eher ein Künstler oder ein Wunder kulinarischer Kreativität.“
„Ach ja, jetzt erinnere ich mich. Jack erzählte mir einmal, dass Sie das Glück haben, einen vorzüglichen Küchenchef zu beschäftigen.“
„Glück? Vielleicht. Obwohl ich mich manchmal frage, ob es nicht einfacher gewesen wäre – und friedlicher –, hätte ich mir eine
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