04 - komplett
weiträumiges Haus an einem schönen, mit bunten Blumen bepflanzten Platz. Nachdem sie von der Haushälterin Mrs. Dorkins empfangen wurde, stellte Cassie schon auf den ersten Blick fest, dass alles um sie herum von größter Eleganz zeugte. Die Möbel entsprachen der allerletzten Mode, die dem französischen Einfluss folgte. Während sie zu ihrem eigenen Zimmer geführt wurde, fiel ihr Blick auf einzelne Stücke aus Ebenholz mit Goldbronzeverzierungen im Empire-Stil.
„Ich hoffe, Sie werden sich hier wohlfühlen, Miss“, sagte die Haushälterin. „Seine Lordschaft hat das Haus gleich nach seiner Rückkehr aus Frankreich umdekorieren lassen.“
„Oh.“ Der seltsame Blick der Frau überraschte Cassie nicht wenig. Als wollte sie etwas Bestimmtes mit ihren Worten ausdrücken. „Es ist sehr elegant. Rosa- und cremefarben, wirklich bezaubernd. Mir gefällt vor allem die Stickerei an den Vorhängen. Ein Gänseblümchenmuster, nicht wahr?“
„Ja, Miss. Die Räume Seiner Lordschaft wurden zur selben Zeit renoviert, in Purpurrot und Gold.“
„Wirklich? Sehr passend.“
„Ich dachte, Sie würden es vielleicht gern wissen ...“
„Danke. Ich bin sicher, es wird mir hier wunderbar gefallen, Mrs. Dorkins.“
Sobald die Haushälterin sie allein gelassen hatte, sah Cassie sich ein wenig um.
Außer dem hübschen Schlafzimmer gab es einen kleinen Salon in Grün- und Gelbtönen. Eine weitere Tür, die Cassie für den Eingang zum Ankleidezimmer hielt, war fest verschlossen, wie sie feststellte, als sie den Knauf herunterdrückte. Also trat sie ans Fenster und blickte in den Garten hinunter. Im nächsten Moment hörte sie ein Klopfen und ein klickendes Geräusch. Sie drehte sich um und sah zu ihrer Verblüffung Lord Carlton aus dem eben noch verschlossenen Raum kommen.
„Verzeihen Sie, falls ich Sie erschreckt habe“, sagte er. „Ich stellte fest, dass sich der Schlüssel zum Ankleidezimmer auf meiner Seite befand. Diese Räume sind eigentlich miteinander verbunden. Unter den Umständen ist es besser, wenn Sie den Schlüssel auf Ihrer Seite behalten. Ich muss mich für die Störung entschuldigen. Sie brauchen nicht zu befürchten, dass ich Ihre Räume wieder betreten werde. Ich wollte Ihnen nur den Schlüssel geben.“
Er machte einen seltsam verlegenen Eindruck, als er den Schlüssel auf eine Kommode legte und sich zum Gehen wandte.
„Bedeutet das, diese Räume werden eigentlich von Lady Carlton bewohnt?“
„Wäre ich verheiratet, ja. Vergeben Sie mir, Miss Thornton. Meine Anweisungen wurden missverstanden. Ich ließ die besten Gästezimmer herrichten, und ...“ Er zuckte mit den Schultern. „Wie Sie sehen, nahm Mrs. Dorkins an, ich meinte diese Räume. Wenn es Ihnen unangenehm ist, mir so nahe ...“
„Ganz und gar nicht“, wehrte Cassie errötend ab. „Sie haben mir den Schlüssel gegeben. Außerdem weiß ich, dass Sie ein Gentleman sind, Mylord.“
„Ich könnte Ihnen sofort ein anderes Zimmer herrichten lassen.“
„Dafür gibt es keinen Grund. Es gefällt mir hier ausnehmend gut, und es ist mir eine Ehre, hier wohnen zu dürfen.“
„Dann lasse ich Sie allein, damit Sie es sich gemütlich machen können. Bitte schließen Sie hinter mir ab, und bewahren Sie den Schlüssel sicher auf.“
Die Situation war ihm immer noch sichtlich peinlich, und so zog er sich unverzüglich zurück. Cassie schloss ab und legte den Schlüssel in eine der Schubladen der Kommode.
Während sie sich zum Tee umzog, dachte sie über Mrs. Dorkins’ seltsamen Fehler nach. Eine Haushälterin wusste doch für gewöhnlich, dass die meisten unvermählten jungen Damen in Räumen untergebracht wurden, die sich weit entfernt von denen der Herren befanden. Dennoch war ja nichts Schlimmes geschehen. Lord Carlton hatte sich genau so verhalten, wie man es von einem Ehrenmann erwarten konnte.
Die Tür zwischen ihren Zimmern war verschlossen und würde es natürlich auch bleiben.
In den folgenden Tagen bekam Cassie Lord Carlton nur selten zu Gesicht. Während der ersten Woche dinierte er zweimal mit ihnen, entschuldigte sich dann allerdings, um den Abend in einem seiner Klubs zu verbringen. Zwar sprach er jeden Tag mit ihr, erkundigte sich, ob sie es bequem hatte und es ihr an nichts fehlte, doch er blieb dabei ein wenig zu höflich und kühl, als wären sie sich nie nähergekommen. Es machte Cassie ein wenig traurig, dass er sich von ihr entfernte, denn sie hatte gehofft, sie könnten Freunde werden.
Allerdings konnte sie
Weitere Kostenlose Bücher