04 - Winnetou IV
der Brust seines Rockes, zog ihn aus und schickte sich an, den Stern dort festzunähen. Sebulon folgte jeder dieser seiner Bewegungen mit mehr als gespannten Blicken. Auf seinem Gesicht wechselte der Ausdruck des Spottes mit dem eines tiefen, ängstlichen Interesses. Hariman hatte kein Geschick zum Nähen. Schon nach den ersten Stichen trennte er sie wieder auf. Das wiederholte sich. Er wurde ungeduldig.
„Es ist, als ob es nicht sein sollte; ich tue es aber doch!“ zürnte er.
Da fragte meine Frau:
„Wollt Ihr nicht mir erlauben, den Stern festzunähen? Ich bringe das wohl leichter und schneller fertig.“
„Wollt Ihr wirklich, Mrs. Burton? Wie lieb Ihr seid, wie lieb! Ja, da habt Ihr den Rock, den Stern, das zusammengeschlagene Papier, welches unter den Stern zu liegen kommt, die Schere, die Nadel und alles! Aber bitte, schlagt das Papier ja nicht etwa auf, um es zu lesen!“
Sie legte das Papier an die bezeichnete Stelle des Rockes, den Stern darauf und begann, die Arbeit in sehr sorgfältiger Weise auszuführen. Zwölf Strahlen erforderten viele, viele Stiche.
„So große Mühe hätte ich mir nun freilich nicht gegeben!“ gestand Hariman. Und nach einer Weile fügte er, wie zu sich selbst sprechend, hinzu: „Es ist doch eigentümlich, ganz, ganz eigentümlich mit dieser Sache! Als ich den Namen schrieb, war es mir, als unterschriebe ich mein Todesurteil. Und doch war es mir so leicht und so wohl dabei!“
Auch Sebulon paßte auf. Er verwandte fast keinen Blick von meiner Frau. Aber seine Aufmerksamkeit hing mehr an ihrem Gesicht als an ihrer arbeitenden Hand. Zuweilen schloß er die Augen, als ob ihm etwas darin wehe tue. Und – was war denn das? – ich sah einen Tropfen von seiner Stirn rinnen, und noch einen und wieder einen! Schwitzte er? Seine Hände zuckten nach dem Hasenfell. Er schien nicht zu wollen, ergriff es aber doch. Dann nahm er die Schere und schnitt, ganz wie vorhin sein Bruder, einen zwölfstrahligen Stern daraus. Das geschah so zögernd, so widerwillig, fast wie im Traum. Dann schabte er die Haare herunter, schob dem Herzle den Stern zagend hin und ersuchte sie:
„Bitte, Mrs. Burton, mir dann auch!“
„Annähen?“ fragte sie.
„Annähen“, nickte er.
„Mit einem Papier?“
„Ja, mit einem Papier und dem Namen. Den schreibe ich jetzt.“
„Also doch! Habe ich es nicht gesagt?“ rief Hariman aus.
„Schweig!“ fuhr sein Bruder ihn an. „Ich tue es nicht, weil du es wolltest, sondern weil ich es will! Ich kann auch beschützen! Verstanden?“
„Aber wen?“ fragte Hariman.
„Das ist mein Geheimnis! Hast du mir etwa den von dir geschriebenen Namen gesagt? So erfährst also auch du den nicht, den ich schreiben werde!“
Er griff zu Feder und Papier und schrieb. Es handelte sich nur um einen kurzen Namen, also um eine Arbeit von wenigen Silben; aber er brachte doch längere Zeit damit zu. Er unterbrach sich mehrere Male. Er holte tief, tief Atem. Endlich war er fertig, Ließ die Schrift trocken werden, legte das Papierchen dann mehrfach zusammen und schob es dem Herzle hin.
Was die Brüder da taten, das war eigentlich ganz und gar nichts Außergewöhnliches. Wohl mancher an meiner Stelle hätte es als Kinderei, als Spielerei bezeichnet. Und doch wäre es mir vollständig unmöglich gewesen, darüber zu lächeln. Ich hatte das Gefühl, als ob dabei ein innerer Zwang vorhanden sei, dem weder der eine noch der andere widerstehen konnte.
Als das Herzle mit der Arbeit fertig war, zogen die Brüder ihre Röcke wieder an. Sie betrachteten einander, erst ernst, fast feindselig, dann freundlicher und immer freundlicher. Endlich lachte Hariman; Sebulon aber lächelte nur.
„Weißt du nun, was du bist?“ fragte der erstere.
„Ein Winnetou“, antwortete der letztere.
„Ja. Aber weißt du auch, was das bedeutet?“
„Daß ich der Engel eines anderen bin, den ich zu beschützen habe.“
„Oh, nicht nur das! Das meine ich überhaupt gar nicht, denn das versteht sich ganz von selbst. Sondern du führst jetzt den Namen dessen, den wir gehaßt haben, wie man eigentlich keinen Menschen haßt, sondern nur Bestien und Teufel!“
„Du doch ebenso!“
„Freilich wohl! Aber hast du dir überlegt, daß es nun mit diesem Haß zu Ende ist? Zu Ende sein muß – muß?“
„Nichts, gar nichts habe ich mir überlegt!“ brauste Sebulon auf. „Ich tue das, was ich will! Das Überlegen bringt nur fremden Willen. Ich bin ein Winnetou geworden, und –“
„Nein, Ihr
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