04 - Winnetou IV
wünschen, daß die Nächstenliebe, nach der wir streben, nicht nur uns, sondern die ganze Menschheit vereine.“
„Könnte man uns wohl verbieten, für uns einen besonderen Clan Winnetou zu gründen?“
„Kein Mensch besitzt das Recht zu diesem Verbot.“
„Kann ein jedes Mitglied sich das andere Mitglied wählen, welches es beschützen will?“
„Nein. Es hat seine Wünsche zu melden, und es wird ihnen, wenn es möglich ist, Rechnung getragen. Aber wenn einem jeden die Wahl seines Schützlings freistünde, so würde es bald sehr viele Personen geben, welche zahlreiche Beschützer haben, und ebenso viele, die gar keinen Schutzengel besitzen. Jemand, den man liebt, zu beschützen, ist kein Verdienst. Aber der Engel eines Verhaßten oder gar Verachteten zu sein, das ist ein schwerer, steiler Weg zur edlen, wahren Menschlichkeit empor.“
„Und kennt man öffentlich den Beschützer und seinen Beschützten?“
„Nein. Das ist Geheimnis. Nicht einmal der Beschützte kennt seinen Beschützer.“
„Auch später nicht?“
„Doch! Nämlich nach dessen Tod. Beide werden eingeschrieben. Und jeder Beschützer trägt den Namen seines Schützlings auf der Innenseite des Sternes auf seiner Brust. Löst man nach seinem Tod diesen Stern vom Gewand los, so sieht man, wessen Engel er gewesen ist.“
„ Well! Das soll man auch bei mir sehen!“
„Bei dir?“ fragte sein Bruder erstaunt.
„Ja, bei mir!“ antwortete Hariman in sehr bestimmtem Ton.
Da lachte Sebulon auf und fragte:
„Bist du etwa auch ein Winnetou, nämlich ein verkappter?“
„Nein, aber ich will einer werden!“
„Laß dich nicht auslachen! Meinst du, daß man dich, grad dich, als ersten Weißen zulassen würde?“
„Nein. Das bilde ich mir nicht ein. Aber ich werde trotzdem und trotzdem ein Winnetou sein. Die Sache gefällt mir; sie gefällt mir sogar außerordentlich. Ich will sie zu der meinigen machen. Und da es mir unmöglich ist, ein roter Winnetou zu werden, so werde ich ein weißer!“
„Auf welche Weise?“
„Auf die einfachste Weise, die es gibt: Ich gründe einen Clan für weiße Winnetous.“
„Wann?“
„Heut, hier, jetzt, sogleich!“
„Verrückter Kerl!“
Er machte bei diesem Ausruf eine geringschätzige wegwerfende Handbewegung. Hariman aber ließ sich nicht irremachen. Er sagte:
„Lach, wie du willst! Und spotte darüber! Ich tue es doch! Ich muß, ich muß! Und du wirst wohl auch noch müssen!“
„Ich? Müssen? Fällt mir nicht ein!“
„Ob es dir einfällt oder nicht, ist Nebensache. Mir ist es auch nicht eingefallen. Es kommt, ohne daß man es will. Und wenn es da ist, hat man zu gehorchen. Also, ich gründe jetzt einen Clan Winnetou für Weiße. Ob ich das erste und einzige Mitglied dieses Clans bin und bleibe, darauf kommt in diesem Augenblick nichts an. Und ob ich mich damit lächerlich mache, ist mir gleichgültig. Ich wünsche aber, daß wenigstens noch einer beitritt, und dieser eine bist du, Sebulon!“
„Darauf rechne nicht, ja nicht!“ antwortete dieser.
„Ich rechne dennoch darauf, dennoch, und du wirst sehen, daß du mußt – daß du mußt! Mrs. Burton, Ihr seid eine Dame, und darum vermute ich, Ihr habt Nähzeug mit?“
„Allerdings“, antwortete das Herzle.
„Ich bitte um eine Nähnadel und um einen Faden guten, schwarzen Zwirn! Auch um eine Schere!“
„Das sollt Ihr haben“, sagte sie und ging nach dem Zelt, um das Gewünschte zu holen.
„Und Ihr, Mr. Burton, seid Schriftsteller“, wendete er sich an mich. „Ihr habt also wahrscheinlich Tinte und Feder, sogar hier, so tief im Westen?“
„Ein Reiseschreibzeug ist da“, erklärte ich.
„So bitte, gebt mir eine Feder und einige Tropfen Tinte! Papier habe ich selbst.“
„Meine Frau wird beides mitbringen.“
„Was willst du mit Tinte und Feder?“ fragte Sebulon.
„Den Namen der Person aufschreiben, die ich beschützen will.“
„Wahnsinn, wirklich Wahnsinn! Darf ich nicht wenigstens wissen, wer diese Person ist?“
„Nein! Kein Mensch soll es wissen! Du am allerwenigsten!“
Nachdem das Herzle die gewünschten Gegenstände gebracht hatte, schnitt Hariman aus dem Fell des heut verzehrten Hasen einen kleinen, zwölfstrahligen Stern heraus, von dem er mit Hilfe seines scharfen Messers die Haare schabte. Dann schnitt er sich ein Stückchen Papier zurecht und schrieb, es auf sein Knie legend, in langsamen, sorgfältigen Zügen den betreffenden Namen darauf. Hierauf bezeichnete er die betreffende Stelle auf
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