04 - Winnetou IV
erfahren sollen, was ihr jetzt mit mir redet, so müßt ihr leiser sprechen.“
„Warum?“
„Er versteht die Sprache der Apatschen.“
Sie erschrak.
„So hat er uns ja schon verstanden!“ hauchte sie schnell und verlegen.
„Allerdings, und zwar jedes Wort. Aber du hast nicht nötig, zu erschrecken. Er ist ein Freund Winnetous, und er ist auch der Deinige, der Eurige. Er will nicht, daß man jetzt schon seinen Namen erfährt; aber wenn Ihr mir versprecht, verschwiegen zu sein, so darf ich ihn Euch nennen.“
„Wir werden verschwiegen sein!“
„Nun wohl, es ist Old Shatterhand.“
„Old Shat …!“ Sie konnte den Namen vor Überraschung nicht ganz aussprechen. Sie erbleichte für einen Augenblick. Dann rötete sich unter der zurückkehrenden Blutwelle ihr Gesicht um so mehr.
„Ist das wahr? – Ist das wahr?“
„Ja, es ist wahr; er ist es“, versicherte der ‚Junge Adler‘.
„Der beste, der wahrste, der treueste Freund und Bruder unseres Winnetou! Zum ersten Mal im Leben sehe ich ihn! O könnte ich – könnte ich!“
Sie sprach auch diesen Satz nicht ganz aus. Sie schlug die Hände zusammen und schaute wie hilflos zu mir empor. Ihre Tochter aber trat zu mir heran und küßte, ehe ich es verhindern konnte, meinen Steigbügelriemen. Ebenso schnell zog sie auch den Rocksaum meines Herzle an die Lippen.
„Und das ist seine Squaw – seine Squaw!“ fuhr die Mutter fort.
„Oh, hätte ich doch nicht versprochen, zu schweigen! Ich würde vor Freude jubeln, jubeln, jubeln!“
Da schwang das Herzle sich vom Pferd, umarmte sie, küßte sie auf Mund und Wangen und sagte in englischer Sprache:
„Ich verstehe nicht, was Ihr sprecht, aber ich lese es aus Euren Augen und von Euren Lippen. Ich liebe Euch beide! Ich begrüße Euch! Wir sehen uns wieder, bald, bald! Jetzt aber müssen wir fort!“
Sie gab der Tochter denselben dreifachen Kuß wie der Mutter und stieg dann wieder auf das Pferd. Ich reichte den beiden lieben, schönen Indianerinnen die Hand und sagte:
„Wakon, der unermüdliche Forscher und Finder, steht hoch in meinem Geist und noch höher in meiner Seele; denn es ist die Seele seiner Nation, nach der er sucht. Ich freue mich, gehört zu haben, daß ich ihn am Mount Winnetou sehen werde. Und ich bin stolz darauf, schon heute seiner Squaw und seiner Tochter begegnet zu sein. Am meisten aber beglückt es mich, zu wissen, daß wir Verbündete sind. Das Andenken Winnetous gehört in die Herzen unserer Männer und Frauen, in die Seelen unserer Völker, nicht aber auf die kahlen, windigen Höhen prahlerischer Öffentlichkeit. Ich bitte, zu verschweigen, daß ihr mich hier getroffen habt. Wir sehen uns wieder! Zur rechten Zeit an der richtigen Stelle!“
Wir ritten fort, mit höflichem Gruß für die Frauen, doch ohne einen Blick für die Männer. Es ging langsam dieselben Steilungen hinab, die wir heraufgekommen waren. Unten sahen wir die Pferde derer stehen, die uns vertrieben hatten; sie kümmerten uns nicht. Dann, als der Weg eben wurde und wir aus dem Wald herauskamen, konnten wir eine größere Schnelligkeit entwickeln und unsern Ritt beeilen. Denn nun wir einmal den Nugget-tsil verlassen hatten, galt es, unser nächstes Ziel, den Deklil-to (Dunkles Wasser) so bald wie möglich zu gewinnen, weil der größte Teil der Strecke zwischen hier und dort aus feindlichem Land bestand. Die alten, blutrünstigen Zeiten waren ja, Gott sei Dank, vorüber, aber der Haß, der damals regierte, war noch nicht tot; der lebt heute noch. Das war sehr deutlich aus den Briefen zu ersehen, die ich von To-kei-chun, dem Häuptling der Racurroh-Komantschen, und von Tangua, dem ältesten Häuptling der Kiowa, erhalten hatte. Unser Weg führte durch das Gebiet dieser beiden Stämme, und ich war mir sehr wohl bewußt, daß ich, wenn auch keinen wirklichen Leichtsinn, dabei doch gewiß ein Wagnis beging, indem ich mit meiner Frau, die den doch immerhin möglichen Gefahren nicht gewachsen sein konnte, grad diese schlimme Gegend durchquerte. Ich hatte kein ganz gutes Gewissen, hütete mich aber, ihr dies zu sagen.
Sie hatte keine Ahnung von diesen meinen Gedanken. Sie war ganz unbefangen. Ja, noch mehr, sie war sogar sehr heiter. Während wir auf ebenem Boden im köstlichen Galopp nebeneinander dahinflogen, warf sie mir von der Seite her zuweilen einen heimlich sein sollenden Blick zu, den ich aber doch wohl bemerkte. Ich verstand diese Blicke. Sie kann kein Unrecht ertragen, auch dann, wenn dieses Unrecht
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