04 - Winnetou IV
uns zu warnen und hierher zu führen. Wir können uns auf ihn verlassen. Er wird sich so verhalten, als ob er nicht zu seinem Stamm, sondern ganz zu uns gehöre, und uns jeden Wunsch erfüllen, der mit seiner Heimatliebe und Indianerehre vereinbar ist. Freust du dich darüber?“
„Ja, herzlich! Und deine Freude wird eine doppelte sein, wenn du diesen treuen Mann noch näher kennenlernst. Bitte, laß uns heut zeitig zur Ruhe gehen. Es ist möglich, daß morgen ein ereignisvoller Tag wird, der ausgeruhte Kräfte von uns verlangt.“
Sie war einverstanden. Sie zog sich sehr bald in ihr Zelt zurück, und auch wir anderen legten uns schlafen. Unter anderen Umständen hätte ich für diese Nacht die Wache unter uns verteilt, da ich aber wußte, wer der Kiowa war und daß ich ihm vertrauen durfte, war es nicht nötig, diese Vorsichtsmaßregel zu treffen. Unser alter Pappermann aber war anderer Meinung über ihn. Er legte sich in seine Nähe, um ihn während der Nacht zu beaufsichtigen. Ich hatte keinen Grund, ihn daran zu hindern.
Am anderen Morgen wachte ich nicht von selbst auf, sondern ich wurde geweckt, und zwar von dem, von dem ich soeben gesprochen habe, von Pappermann. Er sah ganz erregt aus, hatte ein rotes Gesicht und sagte:
„Verzeiht, Mr. Burton, daß ich Euch aus dem Schlaf störe! Es sind Dinge geschehen, schreckliche Dinge, die mich veranlaßten, Euch sofort zu wecken!“
„Was ist es?“ fragte ich, indem ich schnell aufsprang.
„Etwas Entsetzliches! Etwas Fürchterliches!“
„Also was? Sagt es schnell!“
„So schnell, wie Ihr wollt, kann ich das nicht. Ich muß Euch da erst vorbereiten.“
„Ist nicht nötig! Nur heraus damit?“
„Es ist nötig! Sogar sehr! Wenn ich Euch nicht vorher vorbereite, fallt Ihr vor Schreck um wie ein Klotz, den niemand aufheben kann.“
„Ich?“
„Ja.“
„Vor Schreck?“
„Wie ich sage: Vor Schreck!“
„Nur ich allein?“
„Ja!“
„Nicht auch Ihr?“
„Nein, ich nicht! Obgleich auch ich erschrak, als ich es sah. Ja, wahrhaftig, auch ich erschrak! Ich erschrak so, als ob sie meine eigene Frau wäre, nicht aber die Eurige!“
„Ah! So betrifft es meine Frau?“
„Ja! Natürlich! Eure Frau!“
„Gott sei Dank!“
Ich holte tief Atem. Der alte, brave Jäger sah so aus, als ob es sich wirklich um ein sehr böses, nie wieder gut zu machendes Ereignis handle. Vielleicht gar um ein Ereignis, durch welches unsere guten Pläne vernichtet würden. Darum hatte er mir, dem sonst so ruhigen, denn doch eine Art Schreck eingejagt. Nun er aber von dem Herzle sprach, war ich sofort beruhigt.
„Gott sei Dank?“ fragte er. „Ihr habt Gott gar nicht zu danken!“
„Ist ihr ein Unglück geschehen?“
„Hm, wie man es nimmt! Vielleicht ihr nicht, aber Euch! Ihr werdet mit Händen und Füßen dreinschlagen!“
„Das glaube ich nicht.“
„Oho! Ich bin zwar niemals verheiratet gewesen, aber ich kann mir trotzdem denken, wie es einem zumute ist, wenn so etwas geschieht. Ich würde den Kerl zerreißen!“
„Welchen Kerl?“
„Welchen? Ihr ahnt also immer noch nichts?“
„Nichts! Rein gar nichts!“
„So muß ich es Euch sagen, wirklich sagen! Versprecht mir vorher, nicht umzufallen!“
„Gut! Also, ich falle nicht um!“
„Und nicht sofort zuschlagen, besonders auf mich!“
„ Well. So will ich es wagen. Also hört!“
Anstatt noch näher an mich heranzutreten, wie man es bei intimen Mitteilungen zuweilen zu machen pflegt, trat er zwei Schritte zurück und sagte:
„Sie ist Euch untreu!“
„Wer?“
„Welch eine Frage! Wer! Natürlich Eure Frau! Das Herzle, wie Ihr sie nennt, wenn Ihr deutsch mit ihr sprecht!“
„Gott sei Dank!“ wiederholte ich. „Nun wird mir das Herz vollends leicht! Ich dachte wunder was für ein Unheil Ihr mir zu beichten hättet!“
„ All devils! Mir bleibt der Verstand stehen! Ich sage diesem Mann da, daß ihm seine Frau untreu geworden ist, und da schreit er zum zweiten Mal: ‚Gott sei Dank!‘ Und da versichert er allen Ernstes, daß ihm das Herz vollends leicht geworden sei! Begreife, wer das kann! Ich nicht!“
Und wieder näher zu mir herantretend, fuhr er in sehr ernstem Ton fort:
„Auch ich habe sie lieb gehabt, sehr lieb, euer Herzle. Ich habe sie geachtet und verehrt. Ich habe sie für die beste, die liebste, die vernünftigste und die vortrefflichste Frau der ganzen Welt gehalten. Ich wäre für sie in das Feuer und in das Wasser gesprungen. Ich hätte für sie mein Leben gelassen,
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