04 - Winnetou IV
hervortrat.
„Schade, jammerschade!“ flüsterte mir das Herzle zu.
„Leider, leider“, antwortete ich. „Und sie sind Künstler, wirkliche Künstler!“
„Ganz zweifellos! Nur die Auffassung ist falsch. Es ist eine Sünde, eine ungeheure Sünde! Wie man Winnetou so etwa antun konnte, das begreife ich nicht! Und diese Figur soll auf die Höhe des Berges!“
„Niemals, niemals! Ich dulde das nicht. Und wenn man mich nicht hört, so greife ich zum letzten Mittel und zertrümmere sie vor aller Augen!“
Die Häuptlinge waren still. Sie schritten langsam rund um das Bild, um es von allen Seiten zu betrachten, sagten aber nichts. Young Surehand und Young Apanatschka standen in der Nähe. In ihren Gesichtern drückte sich nicht die geringste Spannung aus. Sie waren vollständig überzeugt, daß der Eindruck ihres Werkes auf uns ein unvermeidlich imponierender sei. Die Herren vom Komitee waren derselben Meinung. Sie hatten erwartet, uns in Ausrufe des Entzückens ausbrechen zu hören. Als aber Minute um Minute verging, ohne daß einer von uns ein Wort verlautete, begannen, sie uns Vorspann zu leisten, indem sie nun ihrerseits das taten, was wir unterließen. Sie ergingen sich in lobenden Interjektionen, um uns zu verleiten, diesem ihrem Beispiel zu folgen. Aber die Wirkung, die sie erreichten, war dieser ihrer Absicht gerade entgegengesetzt: Die Häuptlinge wendeten sich dem Ausgang zu. Sie schritten hinaus, einer nach dem andern. Ich folgte mit dem Herzle. Da kam das Komitee, die beiden Künstler voran, uns nachgeeilt. Sie wollten Auskunft haben. Athabaska war der erste, der in den Sattel kam. Er wartete, bis wir andern oben saßen, und wendete sich dann an die Fragenden:
„Dieser euer Winnetou ist die größte Lüge, die jemals hier zwischen den Bergen erklang. Zerschmettert sie! Da hinauf kommt sie mir nie, nie, nie!“
Er deutete bei diesen Worten nach der Höhe, auf welcher die Figur errichtet werden sollte.
„Nie – – nie – nie – nie“, fielen auch die anderen Häuptlinge nebst ihren Unterhäuptlingen ein.
„Und sie kommt hinauf!“ rief Young Surehand.
„Ja sie kommt hinauf!“ behauptete auch Young Apanatschka. „Beweist es, daß es eine Lüge ist!“
Und Mr. Antonius Paper, der immer Voreilige, kam demonstrativ zu uns herangeschlingert und schmetterte uns an:
„Wir sind das Komitee zur Errichtung des Winnetoudenkmals. Was wir beschließen, das geschieht. Die Figur kommt hinauf, hinauf!“
Er fuchtelte dabei mit den Armen, grad vor Schahko Mattos Pferd. Dieser gab schnellen Schenkeldruck, ritt ihn über den Haufen und antwortete:
„Wirklich? Ihr seid das Komitee? So setzen wir euch ab und wählen ein anderes!“
„Ja ein anderes, ein anderes!“ riefen die Unterhäuptlinge, während Mr. Antonius Paper sich vom Boden aufraffte und hinter den andern Mitgliedern des Komitees Schutz suchte.
Da kam dem ersten Vorsitzenden, Professor Bell, eine Ahnung, daß es mit ihrem Vorhaben denn doch nicht so sicher stehe, wie er bisher angenommen hatte, und daß der jetzige Augenblick vielleicht wohl gar der entscheidende sei. Er tat einige Schritte zu mir herbei und fragte:
„Welcher Meinung seid denn Ihr, Mr. Shatterhand? Ich bitte Euch, mir das zu sagen!“
„Oh, auf das, was ich denke, kommt es hier doch gar nicht an“, antwortete ich.
„Das ist nicht wahr!“ entgegnete er. „Ich bin überzeugt, daß man tun wird, was Ihr vorschlagt. Darum ersuche ich Euch, mir zu sagen: Was schlagt Ihr vor?“
„Dazu ist jetzt wohl nicht die richtige Zeit und hier auch nicht der richtige Platz. Ich kenne überhaupt den mir angewiesenen Platz noch nicht. Ich kann also erst dann sprechen, wenn ich meine Nummermarke habe. Vielleicht hat euer Schriftführer die Güte, sie mir nach meiner jetzigen Wohnung zuzustellen –“
Hierauf ritt ich davon. Die anderen folgten sogleich. In der Oberstadt angekommen, gab es nur noch eine kurze Beratung. Wir alle waren der Ansicht, daß nichts geschehen konnte, bevor wir mit Old Surehand und Apanatschka gesprochen hatten. Das war also abzuwarten. Hierauf verabschiedeten wir uns von den Häuptlingen und ritten nach den Zelten der Siouxfrauen, um unsere Freundinnen, die beiden Aschtas, für heute abend zu uns einzuladen. Sie sagten freudig zu. Dann kehrten wir nach dem ‚Schloß‘ zurück, übergaben dort unsere Pferde und stiegen durch den Wald zu Fuß nach dem Wachtturm hinaus, um den ‚Jungen Adler‘ aufzusuchen und für den Abend auch mit einzuladen.
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