04 - Winnetou IV
Könnt ihr das? Ich glaube, nicht! Unser großer Winnetou war vor allen Dingen bescheiden. Er diente. Er achtete und ehrte das Alter selbst im geringsten Menschen. Seine größte Lust war, zu helfen, zu tragen, zu beglücken. Ihr aber seid zu stolz, selbst seinem besten Freund den ersten Besuch, den Höflichkeitsbesuch, der nicht euch, sondern ihm gebührt, zu machen. Ihr habt also Winnetou niemals verstanden und begriffen. Wie könnt ihr uns da ein Bild von ihm geben, welches wahr und ehrlich und nicht erlogen ist? Wo sind eure Väter? Sind sie anwesend?“
„Noch nicht. Sie ritten heute früh fort. Sie kehren erst am Abend wieder.“
„So sagt ihnen, wenn sie kommen, folgendes: Die hier versammelten Häuptlinge verlangen von ihnen, daß sie zu Old Shatterhand kommen, um ihn für ihre Söhne um Verzeihung zu bitten. Wir aber werden nach Verlauf einer Stunde bei eurem tönernen Winnetou eintreffen, um zu prüfen, ob ihr Künstler seid oder nicht. Jetzt könnt ihr gehen!“
Sie stiegen auf ihre Pferde und ritten fort, ohne ein einziges Wort der Entschuldigung zu sagen oder der Verteidigung zu wagen. Und als wir nach Verlauf der angegebenen Zeit bei dem großen, hohen Blockhaus ankamen, in welchem sie an dem Modell gearbeitet hatten, standen sie an der Tür und empfingen uns still und ehrerbietig wie Leute, die gern zürnen möchten und aber doch nicht dürfen. Sie waren übrigens ganz prächtige und sympathische junge Menschen, und ich sah es dem Herzle an, daß sie im Innern gern bereit war, sie zu verteidigen. Sie nickte und lächelte ihnen heimlich zu; ich aber durfte ihnen nur einen grüßenden Blick geben, weiter nichts, um Athabaska nicht zu beleidigen.
Als wir in das Gebäude traten, sahen wir da sämtliche ‚Herren vom Komitee‘ versammelt. Sie hatten sich eingestellt, um auf die Häuptlinge einzuwirken, wurden aber von diesen derart als Luft behandelt, daß sie es gar nicht wagten, sich ihnen zu nähern oder gar etwa einen von ihnen anzusprechen.
Das Haus war rund wie ein Zirkus gebaut und enthielt nur einen einzigen Raum. Die mit Leinwand überkleidete Holzblockmauer zeigte ein wohlgelungenes Panorama des hiesigen Platzes mit dem Mount Winnetou und seinen beiden riesigen Felsentürmen. Den vorderen, kleineren Turm mit dem ‚Schloß‘ Tatellah-Satahs und den größeren, höheren mit der von hoch oben stolz herabschauenden gigantischen Winnetoufigur, selbstverständlich jetzt nur erst projektiert. Als Modell vollendet aber ragte diese Figur in der Mitte des Raumes. Sie war ungefähr acht Meter hoch und stand unter der günstigen Wirkung des durch die offenen Dachfalten hereinbrechenden Oberlichtes. Für die dunklen Abendstunden war elektrische Beleuchtung vorhanden, die hierzu nötige Elektrizität wurde ohne großen Kostenaufwand am Wasserfall erzeugt. Es war berechnet, daß sie später für die ganze Stadt Winnetou ausreichen werde.
Mein erster Blick war nach dem Gesicht Winnetou. Es war getroffen, überraschend getroffen. Und doch erschien es mir fremd. Es waren seine Züge, ganz genau seine Züge; aber sie waren nicht so freundlich ernst, so gütig und so lieb, wie ich sie kennengelernt hatte, sondern sie zeigten einen fremden Ausdruck, der ihm im Leben niemals eigen gewesen war. Dieser Ausdruck harmonierte allerdings mit der aggressiven Bewegung, welche der Figur von ihren Verfertigern erteilt worden war. Die Kleidung war mit peinlichster Gewissenhaftigkeit ausgeführt. Die mit Stachelschweinborsten geschmückten Mokassins, die gestickten Leggins, der eng anliegende, fast faltenlose, lederne Jagdrock, die über die Schulter geschlagene prächtige Santillodecke, unter welcher die Schlingen des von der rechten Achsel nach der linken Hüfte gehenden Lassos hervorschauten. Am Gürtel hing der Pulver- und Kugelbeutel früherer Zeit. Daneben steckte das Messer, unweit davon eine Pistole und ein Revolver. Den rechten Fuß wie zum Sprung vorgesetzt, stützte sich die Figur auf die in der linken Hand gehaltene Silberbüchse, während die rechte Hand einen geladenen zweiten Revolver drohend vorstreckte. In dieser vorwärts strebenden Bewegung hatte die Gestalt etwas all- oder schlangenhaftes. Oder man dachte an einen Panther, der sich aus seinem Hinterhalt hervorschnellt, um sich auf die Beute zu stürzen. Hierzu paßte der nicht etwa nur drohende, sondern gierige Ausdruck des Gesichtes, welcher um so befremdender oder abstoßender wirkte, je deutlicher die Schönheit dieses Gesichtes trotz alledem
Weitere Kostenlose Bücher