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04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
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anzunehmen“, stimmte Intschu-inta bei. „Einen sicheren, ruhigen Flug konnte es also nicht geben, ganz abgesehen davon, daß der Adler sich aus allen Kräften sträuben würde, ihn zu tragen. Aber wenn kein eigentlicher Flug, so war es doch wohl auch kein eigentlicher Sturz in die Tiefe. Es war vorauszusehen, daß die Flügelschläge die Jäheit und Stärke dieses Sturzes mildem würden. Es galt also, den Adler so zu fesseln, daß er den Knaben weder mit dem Schnabel noch mit den Krallen verletzen, aber doch fliegen konnte. Schlingen und Fesseln, mit denen man dies erreicht, sind einem jeden Indianer, sogar auch den Kindern, geläufig. Kaum war der Gedanke gefaßt, so wurde seine Ausführung vorbereitet. Riemen waren mehr als genug da. Mit Hilfe eines passenden, aus dem Horst gezogenen Holzes und dreier Riemen wurde schleunigst ein Knebel gefertigt, der den Adler zwang, Kopf und Kragen geradeaus zu strecken. So war ihm der Gebrauch des gefährlichen Schnabels verwehrt. Für die Fänge oder Krallen gab es eine fünffache Schlinge, die später noch zu verstärken war. Für den Leib eine Schleife, welche den Zweck hatte, den Flügel zu schließen und eng an den Körper zu zwingen, natürlich nur bis zu dem Augenblick, an dem der Flug zu beginnen hatte. Mehrere Hölzer wurden fest in die Felsenspalte geklemmt, so daß sich eine Art von Gitter zum Schutz des darin steckenden Knaben bildete. Wollte der Adler ihn fassen, so war er gezwungen, den Kopf durch dieses Gitter zu stecken, der dann sehr leicht mit der Schlinge gepackt und festgehalten werden konnte.“
    Meine Frau war außerordentlich gespannt, ich nicht viel weniger. Pappermann las dem Erzähler die Worte fast von den Lippen weg. Intschu-inta fuhr fort:
    „Kurze Zeit, nachdem diese Vorkehrungen getroffen waren, kehrte die Adlersfrau zurück. Sie schien die Leichen ihrer Kinder gefunden zu haben, denn sie fuhr in einer bedeutend größeren Wut als vorher auf ihren Feind los. Sie besann sich nicht im geringsten, den Kopf durch das Gitter zu stecken. Sofort legte sich ihr die Schlinge um den Hals, und mochte sie sich noch so sehr wehren, einige Minuten später war ihr der Knebel angelegt, der sie zwang, Kopf und Hals geradeauszustrecken.
    Sie wehrte sich aus Leibeskräften, mit den Flügeln und den Krallen. Die letzteren wurden sehr leicht in Schleifen gefangen und dann fest aneinandergebunden. Um die ersteren zur Ruhe zu bringen, mußte der Knabe den gewaltigen Raubvogel, der sich aber nun schon nicht mehr wehren konnte, halb zu sich in den Felsenspalt ziehen, um ihm die Schwingen an den Leib zu drücken und dann mit Riemen festzubinden. Als dies geschehen war, konnte der Adler sich nicht mehr bewegen. Er war vollständig überwältigt; der Sieger aber hatte nicht die geringste Verletzung davongetragen, der Vogel ebenso. Das Schwierigste war vorüber; das Kühnste konnte beginnen, nämlich, der fliegende Sturz oder der stürzende Flug in die grausige Tiefe.“
    „Gott sei Dank, daß ich es nicht war!“ meinte Pappermann. „Mir wäre dieses Wagnis gewiß nicht gelungen. Wen das Schicksal dazu verurteilt hat, Papperman zu heißen, der muß auf fester Erde bleiben, sonst geht er sicher kaputt! Doch weiter, schnell weiter! Ich bin gespannt!“
    Der Diener fuhr fort:
    „Nun das Raubtier gebändigt war, konnte der Knabe die Felsenspalte wieder verlassen. Er trat vor und schaute in den Abgrund. Es kam keine Spur von Zagen über ihn. Es fiel ihm nicht ein, auch nur einen Augenblick zu zögern. Jetzt war der Adler noch bei voller Kraft. Je schwächer er wurde, desto gefährlicher war der Sprung von dem Horst in das gähnende Nichts hinaus. Der Vogel stank nach Wild und Blut. Seine großen, runden Augen glühten vor Haß und Wut. Und doch konnte nur er allein der Retter sein, weiter niemand, weiter nichts! Das sind Rätsel, die nur einer lösen kann, ein einziger, und dieser einzige ist gut, ist ewig gut! Der Knabe befestigte sich die besten seiner Riemen unter den Armen hindurch über Brust und Rücken, band sie an die Krallen des Adlers, doch so, daß ihm die schlagenden Flügel des Vogels das Gesicht nicht verletzen konnten, und zog den letzteren bis hart an den Rand des Abgrundes. ‚O Manitou, o Manitou!‘ rief er aus. Dann durchschnitt er die beiden Riemen, welche die Flügel fest an den Leib gehalten hatten. Der Adler regte sie; er bemühte sich, sie auszubreiten, aber er konnte sich nicht aufrichten, weil ihm die Krallen zusammengebunden waren. ‚O Manitou,

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