04 - Winnetou IV
Unterzeichneten von den Häuptlingen betrogen werden sollten. Daß diese Schrift auf absichtlichem Weg in die Hände eines Gegners gelangen könne, war für die Aussteller eine Unmöglichkeit gewesen. Sie hatten den Brüdern nur für eine kurze Zeit ausgestellt, dann aber wieder abgenommen werden sollen. Nachdem ich sie gelesen hatte, wollte ich sie Hariman Enters zurückgeben; aber er sagte:
„Kann sie Euch nützen, wenn Ihr sie behaltet?“
„Sogar viel“, antwortete ich.
„So mag ich sie nicht wieder. Betrachtet sie als Euer Eigentum!“
„So danke ich Euch. Damit habt Ihr allerdings bewiesen, daß Ihr es ehrlich meint. Warum brachtet Ihr Euren Bruder nicht mit?“
„Weil niemand etwas wissen soll und zwei viel eher beobachtet und entdeckt werden als einer. Sobald wieder etwas zu melden ist, mag er es tun. Jetzt aber bitte ich, mich zu entlassen.“
„Er ist wirklich treu“, sagte das Herzle, als er fort war.
„Ob aber auch sein Bruder?“ fragte ich.
„Ich glaube nicht, daß er mir etwas Böses zufügt.“
„Ja, dir! Aber mir? Mich liebt er nicht. Das ist gewiß. Ich fühle mich nur darum vor ihm sicher, weil alles Böse, was er mir zufügen könnte, ganz unbedingt auch dich mittreffen muß. Ich stehe also, wie überall auch hier unter deinem Schutz!“
„Den hast du allerdings auch nötig!“ scherzte sie mit. „Besonders morgen, wenn vier Häuptlinge auf dich schießen, so recht hübsch einer nach dem andern! Sei ja nicht leichtsinnig! Dein Leben muß auf alle Fälle erhalten werden. Du gehörst nicht dir allein, sondern auch mir!“ –
Am nächsten Morgen stellten sich zwei Kiowa-Indianer bei mir ein, die mir meldeten, daß Pida, ihr Häuptling, mich zu sprechen habe. Ich solle ihm durch sie mitteilen, wann ich ihn bei mir empfangen wolle. Ich bestellte ihn auf Punkt die Mittagszeit. Als sie sich entfernt hatten, ließ ich durch Intschu-inta alle die Personen, die zur Vorlesung zu erscheinen pflegten, so einladen, daß sie eine Viertelstunde vor Mittag bei mir einzutreffen hatten. Sie kamen, und ich teilte ihnen in Kürze mit, um was es sich handelte. Ich wünschte, daß bei der Forderung soviel Zeugen wie möglich vorhanden seien.
Pida kam in großer Begleitung angeritten, wurde aber nur allein vorgelassen. Die bei ihm waren, standen nicht im Häuptlingsrang . Er suchte es zu verbergen, aber man sah es ihm doch an, daß er überrascht war, mich nicht allein, sondern so viel andere bei mir zu sehen. Das Herzle, Aschta und Kolma Putschi waren auch mit da. Als er eingetreten war, stand ich von meinem Platz auf, ging ihm einige Schritte entgegen und sprach:
„Pida, der Häuptling der Kiowa, hat einst mein Herz gewonnen. Er besitzt es auch heute noch. Doch weiß ich nicht, ob ich in der Sprache des Herzens mit ihm reden darf oder nicht. Er sage mir, in welcher Eigenschaft er zu mir kommt, ob als Gast, mich zu begrüßen, oder als Bote seines Vaters, der mir den kleinsten Gruß verweigern würde!“
Er war damals Jüngling gewesen, jetzt aber ein Fünfziger. Sein Gesicht war jetzt schärfer geschnitten als früher, aber noch immer sympathisch. Sein Auge ruhte mit freundlichem Blick auf mir, doch klang seine Stimme ernst, als er mir antwortete:
„Old Shatterhand weiß, ob Pida ihn liebt oder haßt. Ich komme als Bote meines Vaters und seiner Verbündeten.“
„So mag Pida sich setzen und dann sprechen!“
Indem ich das sagte, kehrte ich nach meinem Platz zurück und deutete ihm durch eine Handbewegung an, sich vor mir niederzulassen. Er aber lehnte ab, indem er fortfuhr:
„Pida muß stehen. Nur der Friede darf sich niederlassen und ruhen. Old Shatterhand sieht in mir den Boten von vier der berühmtesten Krieger. Ich nenne ihre Namen: Tangua, der Häuptling der Kiowa, To-kei-chun, der Häuptling der Racurroh-Komantschen, Tusahga Saritsch, der Häuptling der Kapote-Utahs, und Kiktahan Schonka, der älteste Häuptling der Sioux. Es ist lange her, viele Sommer und viele Winter, daß diese Häuptlinge von Old Shatterhand gezwungen wurden danach zu trachten, daß er ausgelöscht werde aus der Reihe der Lebenden. Er entkam ihnen. Er lebt noch. Aber auch seine Schuld besteht noch, sie ist ungesühnt. Er hat sie vergessen. Er hat geglaubt, sie sei auch von ihnen vergessen. Er hat es gewagt, in ihr Land zu kommen und die Pfade zu betreten, die seinem Fuß verboten sind. Dadurch hat er sich ihnen ausgeliefert. Er ist ihr Eigentum. Er muß sterben. Aber die Zeiten des Marterpfahls sind
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