04 - Winnetou IV
drängten sie das, was über ihr Lippen wollte, jetzt noch zurück.
„Und kommen meine Brüder heute abend wieder?“ erkundigte sich Tatellah-Satah. „Ich erwarte sie zu ganz derselben Zeit.“
„Wir kommen“, versicherte Algongka.
„Ja, wir kommen“, sagte Kolma Putschi, die ganz gewonnen war.
„Wir kommen; wir kommen!“ riefen alle anderen. Und dieses Mal waren auch die Stimmen der zwei jungen Künstler dabei.
So brachen wir auf und gingen heim. Bei uns angekommen, gestand das Herzle, ehe wir zur Ruhe gingen:
„Glaubst du, daß ich wirklich ein neues Wesen, eine seelische Gestalt in mir fühle, die vorher nicht vorhanden war?“
„Ich glaube es. Doch bitte, sprechen wir ja nicht in Rätseln. Es ist die Gedankenwelt Winnetous, die uns ergriffen hat und uns erobern wird, ob wir mögen wollen oder nicht. Gute Nacht, Herzle!“
„Gute Nacht! Ich glaube, wir siegen!“
ACHTES KAPITEL
Der Sieg
Die Vorlesung wurde täglich fortgesetzt. Sie bewirkte Wunder. Ihre größte Wirkung war die, daß Young Surehand und Young Apanatschka stets die ersten waren, die sich einstellten. Sie konnten das Folgende kaum erwarten. So große Freude uns dies machte, so taten wir doch, als ob wir gar nicht darauf achteten. Und sie ihrerseits versäumten trotz dieses großen Interesses für unseren seelischen Winnetou doch keineswegs, den Aufbau ihres steinernen Bildes am Schleierfall so viel wie möglich zu fördern. Es wuchs Zusehens empor, weil die einzelnen Teile schon fertig behauen waren und nur noch zusammengesetzt zu werden brauchten. Es war, als ob ein Wettstreit herrsche, welche Figur am ersten fertig sein werde, ihre steinerne oder unsere rein geistige, die sich in den Vorleseabenden in immer größerer Höhe und Schönheit entwickelte.
Am Abend des dritten Tages, nachdem die Gebrüder Enters bei mir gewesen waren, wurde ich von Hariman, dem einen Bruder, wieder aufgesucht. Er hatte, um nicht gesehen zu werden, zu dieser heimlichen Visite die späte Zeit der Dunkelheit gewählt. Es hatte kurz vor Abend neue Ankömmlinge gegeben, die in der Unterstadt geblieben waren. Nach der Aufregung, die ihre Ankunft dort verursachte, schienen wichtige Personen dabei zu sein, deren Namen wir aber nicht erfahren hatten. Nun kam Hariman Enters, sie uns zu nennen. Ich empfing ihn in Gegenwart meiner Frau.
„Wißt ihr, Mr. Shatterhand, wer gegen Abend hier angekommen ist?“ fragte er.
„Nein“, antwortete ich.
„Eure Todfeinde, die vier Häuptlinge.“
„Ah? Wirklich? Allein?“
„Mit nicht viel über dreißig Mann Begleitung, mehr nicht.“
„Keine Unterhäuptlinge?“
„Nein“.
„Wie unvorsichtig von ihnen! Daraus ist doch auf das zu schließen, was sie vorhaben! Die Unterhäuptlinge gehören unbedingt zu ihnen. Fehlen sie, so bedeutet das Gefahr. Sie sind natürlich bei den viertausend Reitern, die man nach dem ‚Tal der Höhle‘ beordert hat?“
„Ganz sicher! Aber das ist jetzt Nebensache. Hauptsache ist, daß man Euch morgen zum Zweikampf herausfordern wird.“
„Uff! Höchst interessant!“
Da fiel das Herzle schnell ein:
„Das ist ganz und gar nicht höchst interessant, sondern höchst unverschämt und höchst gefährlich! Wer ist der Mensch, der sich vorgenommen hat, meinen Mann umzubringen?“
Diese Frage war an Enters gerichtet. Er antwortete.
„Es ist nicht nur einer, sondern es sind vier.“
„Kiktahan Schonka, Tusahga Saritsch, Tangua und To-kei-chun.“
„Wollen sie etwa alle vier zu gleicher Zeit auf einmal auf meinen armen Mann hineinhauen , hineinstechen oder hineinschießen?“
„Nur schießen, weiter nichts.“
„So! Weiter nichts! Als ob das gar nichts wäre! Und alle vier zu gleicher Zeit?“
„Nein, sondern einer nach dem andern.“
„Das verbitte ich mir! So hübsch einer nach dem andern! Etwa wie drüben in Deutschland beim Scheiben- oder Vogelschießen! Wenn der eine nicht trifft, trifft der andere! Danke! Da kann doch kein Mensch lebendig davon kommen!“
„Das meinen sie eben auch! Old Shatterhand muß unbedingt fallen. Dann ist nicht nur ihrer Rache Genüge geschehen, sondern auch der steinerne Winnetou gerettet. Man meint nämlich, daß er der einzige wirklich gefährliche Gegner des Denkmalbaues ist. Ist er tot, so ist mit Hilfe der viertausend Reiter alles durchzusetzen –.“
„Oho!“ fiel ihm das Herzle zornig in die Rede. „Er wird aber nicht tot sein! Ehe ich mir ihn erschießen lasse, schlage ich diese viertausend alle tot, auch einen so
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