04 - Winnetou IV
noch zu verhüten war.
Als wir während dieses Rittes am Schleierfall vorüberkamen, gab es dort eine außerordentlich rege Tätigkeit. Die Vorbereitungen zur Brillantbeleuchtung heut abend nahmen alle Kräfte in Anspruch. Als ich einen forschenden Blick auf die neu eingegrabenen Masten warf, war es mir, als ob die Figur heut nicht unbedeutend schiefer stehe als vorher und als ob sich auch die Gerüste schon geneigt hätten. Ich sagte aber nichts.
Bei der Kantine angekommen, fanden wir das Herzle mit dem Ingenieur. Sie photographierten. Die beiden Enters waren dabei. Sie hatten, wie ich später erfuhr, in der Kantine gesessen und waren herausgekommen, um zuzusehen. Grad als wir bei ihnen von den Pferden stiegen, kam der ‚Nigger‘ aus dem Haus. Old Surehand und Apanatschka nahmen ihn sofort in Beschlag. Sie machten weder Einleitungen noch lange Umstände. Old Surehand fiel gleich mit der Tür in das Haus:
„Wir sind gekommen, dich zu arretieren!“ sagte er. „Du kommst uns grad so recht!“
„Arretieren? Mich?“ fragte der ‚Nigger‘. „Möchte den sehen, der das fertig brächte! Darf ich fragen, warum?“
„Wegen des Theaters, welches heut abend gespielt werden soll.“
Der Mensch erschrak, faßte sich aber schnell. Er machte nicht den geringsten Versuch, zu leugnen. Er lachte laut auf und rief:
„Dafür, daß ich Euch Eure Gegner vom Hals schaffen will, wollt Ihr mich arretieren? Well! Istdas Dankbarkeit?“
„Glaubst du, uns zu täuschen?“ fragte Apanatschka. „Wir wissen sehr genau, daß es sich nicht nur um unsere Gegner handelt, sondern auch um uns selbst! Nicht nur sie, sondern auch wir sollen abgeschlachtet werden! Wir wissen es!“
„Von wem?“
Die Augen des ‚Niggers‘ funkelten, indem er diese Frage tat. Apanatschka antwortete:
„Waren To-kei-chun und Tusahga Saritsch etwa gestern abend nicht bei dir? Ist da nicht deutlich genug davon gesprochen worden, was geschehen soll? Saßen nicht die beiden Enters auch dabei?“
Das war ein unverzeihlicher Fehler, den Apanatschka da beging. Die Folgen stellten sich augenblicklich ein. Der ‚Nigger‘ griff mit der Hand in seine Tasche, jedenfalls nach seinem Revolver. Er richtete seine Gestalt hoch auf, sah einen nach dem andern von uns an und sagte, indem er die Worte wie pfeifend zwischen den Zähnen hervorstieß:
„Also verraten! Alles verraten! Doch schadet das nichts! Was werden soll, wird doch!“
Das Herzle war an meine Seite geeilt. Sie glaubte mich in Gefahr. Auch die beiden Enters hatten sich uns genähert. Sie standen jetzt grad neben dem ‚Nigger‘. Dieser betrachtete sie mit einem tiefverächtlichen Blick und fuhr fort:
„Und wißt ihr, wer es verraten hat? Ihr, ihr, ihr! Denn die beiden Häuptlinge werden sich doch nicht selbst verraten! Eigentlich sollte ich euch sofort niederschießen! Aber ihr kommt erst an zweiter Stelle! An erster Stelle steht dieser fremde, deutsche Hund mit seiner Squaw, die ich sofort durchlöchern werde, um –“
Er riß den Revolver aus der Tasche, spannte ihn und richtete ihn auf mich und meine Frau. Da aber wurde er von den beiden Enters gepackt, so daß er nicht schießen konnte. Old Surehand und Apanatschka zogen ihre Revolver rasch auch. Das Herzle stellte sich vor mich, um mir als Schild zu dienen; ich aber schob sie hinter mich und warnte sie:
„Keine Torheit! Es geschieht uns nichts!“
Der ‚Nigger‘ versuchte, die Brüder von sich abzuschütteln. Sie ließen nicht los.
„Du sollst Old Shatterhand nicht schießen; schieß lieber mich!“ rief Hariman Enters.
„Nicht diese Frau sollst du treffen; nicht sie, nicht sie, sondern mich!“ stimmte Sebulon bei.
Da gelang es dem ‚Nigger‘, seine Rechte frei zu machen.
„Wohlan, wohlan!“ brüllte er. „Also zunächst ihr beide, damit ich euch los werde! Dann aber um so sicherer die beiden andern!“
Er richtete den Lauf seiner Waffe blitzschnell auf Sebulon und dann auf Hariman. Die Schüsse krachten. Zugleich aber fielen noch zwei andere Schüsse, nämlich aus den Revolvern Apanatschkas und Old Surehands. Diese Kugeln drangen dem Riesen mitten in die Stirn. Er drehte sich halb um sich selbst, begann zu wanken und stürzte dann mit den beiden Enters, die in die Brust geschossen waren, zu Boden. Apanatschka und Old Surehand warfen sich schnell auf ihn, um seine Todeszuckungen unschädlich zu machen. Das Herzle kniete bei Sebulon und ich bei Hariman nieder. Beide waren nur zu gut getroffen. Hariman öffnete noch
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