04 - Winnetou IV
einmal die Augen.
„Ich war euer ‚Winnetou‘, seit jenem Abend am Nugget-tsil“, flüsterte er. „Ist mir vergeben?“
„Alles, alles!“ antwortete ich.
„Auch meinem Vater?“
„Auch ihm!“
„So – sterbe – ich froh –!“
Diese Worte hauchte er nur noch. Dann war er tot. Sebulon lag still; aber seine geschlossenen Augenlider zitterten. Auch war er dem Tod verfallen. Das Herzle weinte. Sie strich ihm leise die Wange. Da öffnete er ganz plötzlich die Augen, richtete sich auf dem einen Ellbogen halb auf, sah sie an und fragte mit scheinbar ganz gesunder Stimme:
„Ihr weint, Mrs. Burton? Und ich bin so glücklich!“
Er lächelte und zog mit letzter Kraft ihre Hand an seine Lippen.
„Lest den Namen unter meinem Winnetoustern!“ bat er.
Sie nickte.
Nach kurzer Pause fuhr er mit leiser werdender Stimme fort:
„Glaubt Ihr – daß mein Vater – nun erlöst ist – – – erlöst?“
„Ich glaube es“, antwortete sie.
„Dann – Gott sei Dank – – – ist es doch nicht umsonst – – – umsonst!“
Er sank zurück und streckte sich. Dann war auch er erlöst. Wir standen auf. Der riesige ‚Nigger‘ lag mit toten, aber starr geöffneten Augen zwischen seinen Opfern.
„Mußte das sein?“ fragte das Herzle.
„Nein!“ antwortete ich fast zornig.
„Ja, es mußte nicht sein“, stimmte Old Surehand bei. „Wir konnten es umgehen. Wir waren zu schnell; wir waren unbesonnen!“
„Wie so oft, wie so oft in früherer Zeit“, stimmte ich bei, denn es war mir unmöglich, mit meinem Tadel ganz zurückzuhalten.
Sie nahmen ihn ruhig hin.
„Was soll nun werden?“ fragte ich. „Glaubt ihr, die Verschwörung der Arbeiter durch den Tod ihres Anführers beseitigt zu haben? Oder wird nicht grad dieser Tod das, was wir verhüten wollen, zum schnelleren Ausbruch bringen?“
„Hm“, brummte Old Surehand verlegen. „Richtig, richtig! Was ist zu tun?“
Sie sahen einander an, fanden aber keine Antwort auf diese Frage.
„Wie lange dauert es, bis ein Dutzend eurer Kanean-Komantschen hier an dieser Stelle sein können?“ erkundigte ich mich.
„Wenn ich sie hole, höchstens eine Viertelstunde“, antwortete Apanatschka.
„Noch weiß niemand, was hier geschehen ist. Die Arbeiter sind jetzt nicht hier, sondern bei den Steinbrüchen und am Wasserfall. Holt treue Leute, die den ‚Nigger‘ fortschaffen und einstweilen verstecken. Dann wird man hören, er habe im Streit die Gebrüder Enters erschossen und sich der Strafe durch die Flucht entzogen. So wissen die Arbeiter nicht, woran sie sind, und es steht zu erwarten, daß sie sich ruhig verhalten.“
„Das ist ein Gedanke!“ stimmte Old Surehand bei. „Schnell fort, und hole die Leute!“
Diese Aufforderung galt Apanatschka, welcher sofort davongaloppierte und nach wenig über zehn Minuten die Komantschen brachte, welche den toten ‚Nigger‘ auf ein Pferd banden und sich mit ihm entfernten. Zwei von ihnen blieben als Totenwache bei dem erschossenen Brüderpaar zurück.
Das Herzle war tieferschüttert. Sie verlangte heim. Darum ritt ich mit ihr nach dem Schloß, welches sie erst am Nachmittag, als sie sich beruhigt hatte, wieder verließ, um mit dem bereitwilligen Ingenieur ihre photographischen Studien fortzusetzen. Sie kam erst gegen Abend wieder heim, um zu melden, daß man unten schon beginnt, sich auf dem Festplatz am Schleierfall einzustellen. Nach dem Essen stiegen wir mit dem‚Bewahrer der großen Medizin‘ und dem ‚Jungen Adler‘ hinab. Pappermann, Intschu-inta und andere waren schon vorausgegangen.
Tatellah-Satah hatte alles, was nötig war, mit mir besprochen und daraufhin seine Anweisungen erteilt. Die Arbeiter hatten am Denkmal zu bleiben. Die gewöhnlichen Zuschauer waren nach dem großen Platz vor der Figur gewiesen, welcher Tausende von Menschen faßte. Dieser Platz zog sich bis nach den beiden ‚Teufelskanzeln‘ zurück, welche nur von den Häuptlingen und Unterhäuptlingen besetzt werden durften. Zwischen den Arbeitern und den Zuschauern gab es eine dreifache Reihe von ‚Winnetous‘, welche alle mit Revolvern bewaffnet waren und dafür zu sorgen hatten, daß die ersteren, also die Arbeiter, sofort überwältigt werden konnten, wenn es ihnen etwa einfallen sollte, nach dem Plan des ‚Niggers‘ und der verbündeten vier Häuptlinge zu verfahren.
Zu erwähnen ist, daß im Verlauf des heutigen Tages die ersten Wagenzüge angekommen waren, mit deren Hilfe die hier zu erwartende
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