04 - Winnetou IV
eine Lady hier, die wir nicht belästigen wollen.“
Das war eine sehr durchsichtige Ausrede. Sie wollten allein sein, um ungestört sprechen zu können. Sogleich kam mir der Gedanke, sie dabei zu belauschen; aber ich verzichtete darauf, ihn auszuführen. Was ich wissen wollte, konnte ich auf direktere und leichtere Weise erfahren, als durch das unbequeme Anschleichen und immerwährende Horchen und Lauschen nach allen Seiten, welches anstrengender ist, als man glaubt.
Die soeben berichtete Unterhaltung war nur zwischen mir und Sebulon Enters geführt worden. Sein Bruder Hariman hatte kein einziges Wort dazu beigetragen. Es schien, als ob die beiden miteinander uneinig seien, und zwar in nicht gewöhnlichem Grad. Sie vermieden, einander anzusehen oder doch ihre Blicke einander begegnen zu lassen.
Ganz ebenso still hatte sich der ‚Junge Adler‘ verhalten. Er tat so, als ob die Brüder gar nicht anwesend seien. Das eröffnete keine allzu freundliche Perspektive auf unser Zusammensein mit ihnen. Sie sonderten sich so, wie Sebulon gesagt hatte, nach dem Abendessen von uns ab und kamen erst am frühen Morgen wieder, als der Duft des Kaffees ihnen verriet, daß auch wir schon munter seien. Als die Sonne erschien, war das Zelt abgebrochen, und der Weiterritt konnte beginnen. Hierbei fiel uns erst auf, daß jeder von ihnen einen sogenannten Stockspaten am Sattel hängen hatte. Als Pappermann sah, daß meine Augen verwundert an diesen Werkzeugen hingen, fragte er die Brüder:
„Ihr habt euch mit Spaten versehen. Wollt ihr Schätze graben?“
„Vielleicht“, antwortete Sebulon mit einer Betonung, welche Pfiffigkeit bedeuten sollte.
„Aber was für welche?“
„Weiß ich noch nicht. Jedenfalls haben wir Werkzeuge zum Graben, wenn wir welche brauchen. Kiktahan Schonka hat uns kein Geld versprochen, sondern Beute, Waren, Pferde und ähnliche Dinge. Auch Metalle, also Silber, Kupfer oder gar Gold. Daß es sich da um Bonanzen oder Diggins handelt, die wir erst untersuchen müssen, versteht sich ganz von selbst! Darum haben wir die Spaten mit!“
Dieser Mann hatte, wie man sich vulgär auszudrücken pflegt, ‚große Rosinen im Kopf‘. Und bei aller seiner Einbildung stand ihm der Gedanke fern, daß er nur ein Werkzeug war, welches später, wenn man es nicht mehr brauchte, weggeworfen werden sollte.
Wir ritten heute genau denselben Weg, den ich damals mit Gates, Clay und Summer geritten war. Und am Abend lagerten wir an derselben Stelle der offenen Prärie, wo wir damals geschlafen hatten. Wir machten kein Feuer. Am anderen Morgen sagte ich den beiden Enters, daß wir gegen Mittag den Tavuntsit-Payah erreichen würden. Den Namen Mugworthill hütete ich mich sehr, auszusprechen. Er steht in meiner Schilderung, welche sie gelesen hatten. Sie kannten ihn also und hätten sofort gewußt, daß es sich um den ‚Nugget-tsil‘ handele. Das aber sollten sie, wenigstens jetzt, vorher noch nicht erfahren. Zu meiner Verwunderung wurde ich von Sebulon gefragt:
„Kennt Ihr diesen Berg nur von weitem, nur vom Hörensagen, Mr. Burton, oder seid Ihr selbst schon dort gewesen?“
„Schon wiederholt war ich dort“, antwortete ich.
„Es sollen einige Gräber dort sein. Drei oder vier. Ist das wahr?“
„Zwei habe ich gesehen, die anderen nicht. Wer mag wohl da begraben sein?“
„Einige Häuptlinge der Kiowas.“
„Wirklich?“
„Ja. Das wurde mir von einem erzählt, der auch schon öfters dort gewesen ist.“
„Wir werden an den beiden Gräbern, die ich gesehen habe, lagern. Es ist das der beste Platz dazu.“
Während dieses Vormittages war meine Frau sehr nachdenklich. Wir nahten uns einem Ort, der für sie von einem nicht nur großen, sondern auch heiligen Interesse war. Sie hält das Andenken an die schöne Schwester Winnetous hoch, sehr hoch. Sie hatte wohl oft schon gesagt, daß sie herzlich wünsche, wenigstens das Grab der schönen, lieben Indianerin einmal zu sehen. Dabei war sie aber stets überzeugt gewesen, daß sie niemals nach Amerika kommen werde. Und nun war sie doch drüben, und die Erfüllung ihres Wunsches stand bevor.
Auch der ‚Junge Adler‘ schien sich mit ernsten Gedanken zu tragen. Bezogen sie sich etwa auf mich? Er sah mich zuweilen so eigentümlich prüfend an, senkte aber schnell den Blick, wenn der meinige ihn dabei überraschte.
Die beiden Enters kamen uns dreien nicht zu nahe. Sie hielten sich hinter uns zu Pappermann, der heut sehr genau wußte, was er ihnen sagen durfte und was
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