04 - Winnetou IV
volle vierhundert. Er verwandelte die paar Stunden ihres Aufenthaltes in drei Tage. Er sprach von außerordentlich wichtigen Verhandlungen, denen er mit seinem Bruder beigewohnt habe. Und er stellte das alles so dar, als ob sie beide die Hauptpersonen gewesen und mit ganz besonderen Ehren überhäuft worden seien. Besonders ihren Abschied von den Roten schilderte er als einen sehr freundschaftlichen. Kiktahan Schonka und Tusahga Saritsch seien, als sie fortritten, zwei-, dreimal wieder umgekehrt, um ihnen noch einmal die Hand zu drücken.
„So sind die Roten also eher fort als ihr?“ fragte ich.
„Ja“, antwortete er.
„Wohin?“
„Das ist ein tiefes Geheimnis, welches wir um keinen Preis verraten sollen. Euch aber will ich es sagen, damit Ihr erkennt, wie gut und wie ehrlich wir es mit Euch meinen. Sie sind nach einem Ort, den sie Pa-wiconte nennen. Ist er Euch vielleicht bekannt?“
„Ja. Es ist ein Wasser. Oder nicht?“
„Doch. Man hat uns den Weg dorthin genau beschrieben.“
„So sollt also auch ihr hin?“
„Allerdings. Wir sollen dort den ganzen Feldzugsplan gegen die Apatschen und ihre Verbündeten erfahren. Ihr seht, wie unendlich wichtig das für Euch ist. Wünscht Ihr, daß wir das, was wir dort erfahren, Euch mitteilen?“
„Selbstverständlich!“
„Wir sind bereit, es zu tun, und hoffen dabei auf Eure Dankbarkeit.“
„Ihr werdet ernten, was ihr säet.“
„Ist dieses Pa-wiconte, dieses ‚Wasser des Todes‘, sehr weit entfernt von dem ‚Dunkeln Wasser‘, in dem unser Vater starb?“
„Wenn ich mich recht erinnere, liegen beide gar nicht weit auseinander. Sobald ich hinkomme, werde ich besser im Bilde sein als jetzt.“
Es wäre nicht klug gewesen, ihm zu sagen, daß unter den beiden verschiedenen Namen ein und derselbe See zu verstehen sei.
„Ah! Ihr habt also die Absicht, selbst auch mit hinzukommen?“ fragte er.
„Gewiß. Oder ist Euch das nicht recht?“
Der Blick, den er jetzt seinem Bruder zuwarf, war ein triumphierender. Er war entzückt darüber, daß ich seinen Plänen so ahnungslos entgegenkam, während er doch derjenige war, dem jede Ahnung fehlte.
„Uns nicht recht?“ rief er aus. „Welchen Grund hätten wir dazu? Wir sind Eure Freunde. Wir haben Euch liebgewonnen. Wir möchten uns am liebsten nie wieder von Euch trennen. Wir nehmen Euch unendlich gern mit nach dem ‚Wasser des Todes‘. Doch setzen wir voraus, daß Ihr uns dafür den ‚Nugget-tsil‘ und das ‚Dunkle Wasser‘ zeigt.“
„Das werde ich tun. Wie aber kommt es, daß Kiktahan Schonka euch nicht gleich mitgenommen hat? Warum schickt er euch nach dem Tavuntsit-Payah?“
„Um die Squaws der Sioux zu beobachten, die nach diesem Orte geritten sind, und ihm dann Bericht hierüber zu erstatten. Er hat uns den Weg genau beschrieben. Nach dieser Beschreibung können es von hier bis hin nur noch zwei Tage sein?“
„Das stimmt. Und nun bitte ich nur noch um eins; dann bin ich zufriedengestellt. Nämlich, es ist doch eigentlich sehr auffällig, daß Ihr Euch an mich gewendet habt, um zu erfahren, wo der ‚Nugget-tsil‘ und das ‚Dunkle Wasser‘ liegen. Es erscheint als fast unglaublich, daß Ihr diese beiden Orte nicht schon längst gefunden habt. Ihr brauchtet Euch in Beziehung auf den ‚Nugget-tsil‘ nur bei den Kiowas zu erkundigen, bei ihrem Häuptling Tangua und seinem Sohn Pida. Und in Beziehung auf das ‚Dunkle Wasser‘ war es doch wohl nicht unmöglich, einen der Apatschen zu finden, die damals mit mir dort gewesen sind.“
„Das klingt nur so leicht, ist es aber nicht“, entgegnete er. „Ich bin bei den Kiowas gewesen. Der alte Tangua war wohl bereit, mir Auskunft zu erteilen, aber Pida, sein Sohn, hinderte ihn daran; warum, das weiß ich nicht. Und unter all den Apatschen, die ich nach dem ‚Dunklen Wasser‘ fragte, hat es keinen einzigen gegeben, der mich nicht sofort als Feind betrachtete und mit Mißtrauen von sich wies. Sie sind unendlich vorsichtig, diese Halunken!“
„Diese Halunken sind meine Freunde, Mr. Enters. Beliebt es Euch, nur noch ein einziges Mal ein solches Wort zu gebrauchen, so sind wir geschiedene Leute! Meine Frau mag jetzt das Abendessen bereiten. Ist das vorüber, legen wir uns schlafen. Und morgen früh bei Tagesanbruch verlassen wir diese Stelle, um nach dem Tavuntsit-Payah zu reiten. Ist euch das recht?“
„Ja. Doch werden wir unser Lager aber nicht hier, sondern ein wenig nach der Seite suchen. Wir sind arge Schnarcher, und es ist
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