Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
04 - Winnetou IV

04 - Winnetou IV

Titel: 04 - Winnetou IV Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karl May
Vom Netzwerk:
Tod, als er mit dir von seinem Testament sprach, hat er zu dir gesagt, daß du zu Besserem bestimmt seist, als nur um Gold zu besitzen. Und dennoch grubst du hier am Grab seines Vaters nur nach Gold, nach weiter nichts. War das nicht ein Fehler, lieber Mann?“
    „Ich glaube nicht. Das Gold, welches hier vergraben lag, war nicht für mich, sondern für wohltätige, edle Zwecke.“
    „Sollte es wirklich nichts, gar nichts gegeben haben, was persönlich für dich, seinen besten Freund und Bruder, bestimmt war? Und sollte Winnetou, der Weitsehende und Hochdenkende, grad bei Abfassung seines Testamentes vergessen haben, daß man auch für ‚wohltätige, edle Zwecke‘ noch weit Besseres geben kann als nur Gold und immer wieder nur Gold? Bitte, überlege doch!“
    „Hm! Weißt du, Herzle, was du da sagst, ist richtig, unzweifelhaft richtig. Ich habe zwar die Ausrede, daß ich damals nur unter Lebensgefahr und in größter Eile nachsuchen konnte, aber das ist doch nicht geeignet, mich zu entschuldigen. Ich hatte ja später jahrelang Zeit, die versäumte Umsicht nachzuholen. Daran habe ich aber gar nicht gedacht – niemals, niemals.“
    „Ich auch nicht. Ich habe mir also ganz dieselbe Gedankenlosigkeit vorzuwerfen, wie du dir. Willst du mir einen Wunsch erfüllen?“
    „Welchen?“
    „Noch einmal nachzugraben? Aber besser, sorgfältiger und tiefer als damals?“
    „Gern – sehr gern.“
    „Ich glaube nämlich, wir finden noch etwas, und zwar die Hauptsache. Die Goldanweisung lag nur zum Schutz des eigentlichen, wirklichen Schatzes oben darauf!“
    „Wie du das sagst! Als ob du es ganz genau wüßtest!“
    „Ich weiß es nicht, aber ich fühle es. Winnetou war abgeklärter und größer als damals du, lieber Mann. Sein eigentlicher, sein unschätzbarster Wert lag nicht im Umgang mit dir, lag überhaupt nicht in deiner Nähe. Wir haben doppelt nachzugraben, nämlich hier, an der Gruft seines Vaters, und sodann ebenso in deiner Erinnerung. Da werden wir gewiß keinen deadly dust finden, wohl aber Perlen und Edelsteine, die aus tiefen, seelischen Bonanzen stammen. Wollen wir nicht gleich beginnen? Es paßt so gut, weil die beiden Enters abwesend sind.“
    „Dieser Grund ist nicht maßgebend, weil die Spuren nicht so schnell zu verwischen wären, daß die Brüder nicht bemerkten, was während ihrer Abwesenheit hier vorgenommen worden ist. Wo über dreißig Jahre vergangen sind, wird es wohl keinen bösen Schaden machen, wenn noch einige wenige Stunden vergehen. Wir dürfen nicht vergessen, daß ich von Tatellah-Satah an die mittelste der fünf großen Blaufichten gewiesen bin. Er schreibt: ‚Ihre Stimme sei die wie die Stimme Manitous, des großen, ewigen und alliebenden Geistes!‘ Das ist also so wichtig und so eilig, daß es allem anderen vorauszugehen hat.“
    „Ganz gewiß, ganz gewiß! – Aber wo sind diese blauen Fichten? Wo stehen sie?“
    „Gar nicht weit von hier. Komm!“
    Ich führte sie nach einer Stelle des Waldes, wo aus dem Boden sich mehrere Felsen erhoben, an deren Fuß ein Wassertümpel lag. Da standen die fünf Silber-Blaufichten, welche Tatellah-Satah meinte. Sie waren bis ganz herunter auf den Boden beästet . Unter diesen Ästen gab es einige wenige dürre. Kaum war mein Blick auf den mittelsten dieser Bäume gefallen, so wußte ich, woran ich war. Das Herzle aber stand da, schaute die Bäume ratlos an, schlug die Hände zusammen und seufzte:
    „Da sieht ja eine genau wie die andere aus, nur daß die mittlere ihre Schwestern um einige Ellen überragt! Und auch ein Ast genau wie der andere! So gedrungen, so reich und dicht benadelt! Und dieser Baum, diese Fichte, soll zu dir sprechen? Wie denn, wie? Weißt du es?“
    „Ja.“
    „Ich nicht!“
    „Das glaube ich wohl!“
    „Also wie? – Sag es mir!“
    „Kannst du Fichte und Tanne unterscheiden?“
    „Ich denke!“
    „So betrachte die mittlere Fichte genauer! Es gibt da unten einige dürre Zweige, an denen sich nur noch wenige Nadeln befinden. Bitte, zähle sie! Von unten herauf! Und zeige dabei mit dem Finger hin!“
    Sie tat es.
    „Eins, zwei, drei“, zählte sie. „Vier, fünf, sechs …“
    „Halt!“ unterbrach ich sie. „Betrachte diesen sechsten, dürren Zweig! Ist das auch Fichte?“
    „Nein, sondern Tanne.“
    „Merkst du nun, daß der Baum zu reden beginnt?“
    „Ah! So ist das, so, so?“
    „Ja, so! Kann dieser Tannenzweig an der Fichte gewachsen sein?“
    „Gewiß nicht. Man hat den richtigen entfernt und

Weitere Kostenlose Bücher