04 - Wohin die Zeit uns treibt
damit ich mich um die Einzelheiten kümmere."
Gillian verfiel wieder in Schweigen. Ich muss verrückt sein, dachte sie, mein Leben und das meiner Familie einem Mann anzuvertrauen, der mehr an Geld als an Menschlichkeit interessiert ist. Sie nahm noch einen Schluck warmes Mineralwasser und versuchte sich damit zu trösten, was Charles Forrester über ihn gesagt hatte: „Er ist ein Außenseiter, bestimmt kein Mann, der als Mannschaftsspieler in Betracht käme. Wenn er es wäre, würde er mittlerweile in der Führungsspitze vom ISS sitzen. So gut ist er. Wenn Sie einen Mann wollen, der eine Nadel im Heuhaufen findet - und es Ihnen egal ist, ob das Heu dabei etwas zerwühlt wird
-, ist er der Richtige."
„Es geht um das Leben meines Bruders, Mr.
Forrester. Und das Leben eines kleinen Mädchens, nicht zu erwähnen die möglichen nuklearen Auswirkungen."
„Falls ich aus allen Agenten, mit denen ich gearbeitet habe, einen auswählen sollte, dem ich mein Leben anvertraue, dann Terence O'Hara."
Nun vertraute sie ihm ihr Leben an, einem Mann, den sie weniger als vierundzwanzig Stunden kannte.
Er war ungehobelt und mehr als nur etwas grobkantig. Seit sie ihn kannte, hatte er ihr nicht ein Wort des Mitgefühls wegen ihrer Familie geboten, und er hatte nicht mehr als ein flüchtiges Interesse an einer Formel gezeigt, die die Machtbalance in der Welt für immer ändern könnte.
Und doch, da war eine ruhig unterstützende Art, wie er den Arm um ihre Taille gelegt hatte, als sie vor Müdigkeit geschwankt hatte.
„Wie lange sind Sie schon Agent?"
Er blickte sie wieder an und brach in Lachen aus.
Sie hörte ihn das erste Mal lachen - kräftig, sorglos und viel anziehender, als ihr lieb war. „Honey, hier geht es nicht um James Bond. Ich arbeite in der Spionage - oder, wenn Sie den sauberen Begriff vorziehen, im Nachrichtendienst."
„Sie haben meine Frage nicht beantwortet."
„Zehn Jahre, mehr oder weniger."
„Warum?"
„Warum was?"
„Warum tun Sie diese Arbeit?"
Terence drückte den Zigarettenanzünder und ignorierte die kleine Stimme in seinem Kopf, die ihn daran erinnerte, dass er zu viel rauchte. „Das ist eine Frage, die ich mir kürzlich selbst gestellt habe.
Warum Physik?"
Sie war nicht so dumm zu glauben, dass es ihn überhaupt interessierte. Die Frage lenkte einfach nur von ihm ab. „Familientradition, und es lag mir. Ich bin so gut wie in einem Labor geboren worden."
„Wir sind fast da. Sollen wir noch einmal alles in Ruhe durchgehen?"
Gillian holte tief Luft. Es war also so weit. „Nein."
Der Parkplatz war halb voll. Die Kamera über die Schulter gehängt, nahm Terence Gillians Hand. Ihr Widerstand bewirkte nur, dass er seinen Griff verstärkte.
„Versuchen Sie, etwas romantisch auszusehen.
Wir haben ein Rendezvous."
„Sie verstehen, wenn ich es etwas schwierig finde, mit einem verklärten Blick herumzulaufen."
Er zog den Fremdenführer aus der Tasche. „Diese Kultstätte stammt übrigens aus dem sechsten und siebten Jahrhundert. Das ist tröstlich."
„Tröstlich?"
„Uber tausend Jahre, und es ist uns noch nicht gelungen, sie zu zerstören. Lust auf einen Aufstieg?"
Sie blickte ihn an, konnte seine Augen hinter den dunklen Brillengläsern aber nicht sehen. „Ich denke schon."
Händchen haltend stiegen sie die großen Stufen der Wahrsagerpyramide hinauf. Obwohl Gillian Schweiß den Rücken heruntertropfte und ihr Herz in dumpfer Angst pochte, wurde sie von der Atmosphäre ergriffen. Uralte Steine, von uralten Händen bewegt, um uralte Götter zu ehren. Von oben konnte man über das blicken, was einmal die Kultstätte für viele Menschen gewesen war.
Für einen Moment gab sich Gillian ganz dem Zauber der Atmosphäre hin. Die Wissenschaftlerin in ihr hätte die Brauen hochgezogen. Doch ihre irischen Vorfahren hatten an Geister geglaubt. Dieser Ort war einmal voller Leben gewesen. Der Geist herrschte immer noch. Gillian schloss die Augen.
„Können Sie es fühlen?", murmelte sie.
„Was fühlen?", fragte er, obwohl er es wusste. Der Praktiker in ihm hatte nie ganz den Träumer überlagern können.
„Das Alter, die alten, alten Seelen. Leben und Tod.
Blut und Tränen."
„Sie überraschen mich."
Sie öffnete die Augen, die jetzt noch grüner waren vor tiefer Emotion. „Zerstören Sie es nicht. Orte wie dieser verlieren nie ihre Macht.
Man kann einen Stein schleifen, doch wenn man hier oben steht, ist er immer noch heilig."
„Ist es Ihre wissenschaftliche Meinung,
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