040 - Paris, Stadt der Sünde
offene Korsett fiel von ihr ab. Nun trug sie nur noch das dünne Batisthemd, Strümpfe und Strumpfhalter und die derben Schuhe.
„Sie wollen mich, Miss Harriman. Sie wollen mich seit unserer ersten Begegnung.
Aber Sie sind zu unehrlich, um sich das einzugestehen. Ziehen Sie die Schuhe aus.“
Sie setzte sich auf den Boden und begann, die Stiefel aufzuschnüren, die ihr zwei Nummern zu groß waren. Die feinen Schuhe von Rohan hatten ihr perfekt gepasst.
Wer immer ihr verhinderter Retter auch sein mochte, er kannte sie nicht gut.
Sie zog die Schuhe aus, stellte sie ordentlich neben sich und blickte hoch. Rohan knöpfte sein Hemd auf, und sie wusste, was geschehen würde, nichts konnte es verhindern. Wieder einmal hatte er ihr die Wahrheit vor Augen geführt: Sie hegte Gefühle für ihn, derer sie sich nicht für fähig gehalten hatte. Ja, sie begehrte ihn.
Ein letztes Mal machte sie Anstalten, sich zu erheben, was er indes nicht zuließ. „Was haben Sie vor?“
„Ich will mich aufs Bett legen“, antwortete sie gefasst. „Seien Sie unbesorgt, ich wehre mich nicht. Ich halte still, bis Sie fertig sind. Es wäre hilfreich, wenn Sie mir Laudanum geben. Eines von Sir Christophers Dienstmädchen gab mir stets ein paar Tropfen davon in den Nächten, in denen er mich aufsuchte. Aber auch ohne Laudanum halte ich still.“ Sie schaffte sogar ein bebendes Lächeln.
Rohan hielt inne und blickte ungläubig auf sie herab. Dann schloss er die Augen.
„Ach Püppchen“, raunte er und legte seine Hand an ihre Wange. Elinor schluchzte trocken und drehte ihr Gesicht in seine Handfläche.
„Es tut mir furchtbar leid“, sagte sie mit erstickter Stimme. „Wenn es nur um mich ginge, hätte ich nicht versucht, zu fliehen, aber ich bin für Lydia verantwortlich und muss mich um sie kümmern. Ich konnte doch nicht sicher sein ... Ich darf sie nicht in Gefahr bringen. Bitte, Mylord ...“
„Still“, unterbrach er sie. „Ich habe Ihnen wehgetan.“ Er zog sie hoch, ihre Kleider fielen raschelnd zu Boden, und sie stand nur im dünnen Unterhemd vor ihm. Er nahm die Hände von ihr und trat ein paar Schritte zurück. „Bedecken Sie sich. Sie frieren. Ich rufe Ihre Zofe.“
Sie sah ihn verblüfft an. „Warum?“
„Das fragen Sie noch? Ich war im Begriff, meinen Zorn an Ihnen auszulassen. Ich habe Sie absichtlich gekränkt, und das hat mir Genugtuung verschafft. Sie können froh sein, dass ich wieder zu Verstand gekommen bin. Legen Sie sich aufs Bett und decken sich zu, bis jemand kommt.“
„Nein.“
Er war im Begriff, sich abzuwenden, als ihr schlichtes Nein ihn zurückhielt. „Nein?“, wiederholte er.
„Nur wenn Sie sich zu mir ins Bett legen.“
„Kind, ich bin nicht in Stimmung, den Tröster zu spielen“, entgegnete er knapp.
„Ich bin kein Kind. Und ich brauche keinen Trost.“ Sie wollte sich ihm nähern, aber die gebauschte Stofffülle zu ihren Füßen versperrte ihr den Weg. „Wenn ich das ...
das wieder tun muss, möchte ich es ... mit Ihnen tun.“
Als er kurz auflachte, erhaschte sie eine Spur des einstigen Francis Rohan. „So schmeichelhaft dieses Geständnis auch sein mag, halte ich es für besser, Ihr Angebot abzulehnen. Legen Sie sich ins Bett.“ Er begab sich zur Tür. „Die Dienstboten haben keinen Zutritt zu diesem Teil des Hauses. Es wird also eine Weile dauern, bis jemand kommt, um Ihnen zu helfen. Ich lasse den Kerzenleuchter hier.“ Und ehe sie ihn zurückhalten konnte, war er verschwunden und zog die Tür leise hinter sich zu.
Elinor stand wie gelähmt, bevor sie über das Kleiderhäufchen hinwegstieg und sich aufs Bett setzte. Sie zählte bis zehn und dann begann sie zu schreien, so laut sie konnte.
22. KAPITEL
Rohan riss die Tür auf und stürmte ins Zimmer mit einer Miene, als wolle er gegen Dämonen kämpfen. „Was ist geschehen? Was ist mit Ihnen?“
„Ratten!“, schrie Elinor in höchster Not.
„Ratten?“
„In der Ecke dort drüben saß eine riesige Ratte, so groß wie eine Katze. Die starrte mich an aus bösen kleinen Augen. Und wenn ich nicht gerufen hätte, wäre das Biest ...“
Rohan näherte sich langsam dem Bett. „Und Sie haben schreckliche Angst vor Ratten“, stellte er sachlich fest.
„Ratten sind mir ein Gräuel. Es gibt nichts Schlimmeres als Ratten. Nichts auf der ganzen Welt. Und in diesem Zimmer wimmelt es von diesen Biestern. Sie müssen mich retten.“
Zögernd breitete sich ein Lächeln in seinen Gesichtszügen aus. „Wissen Sie, was Sie
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