040 - Paris, Stadt der Sünde
rote Fleck an seiner Hemdbrust war dunkler geworden, die Blutung hatte anscheinend aufgehört. Nur aus der Wunde an seinem rechten Arm tropfte noch Blut. „Aber nein, ich tue Ihnen keine Gewalt an.“
Sie sah ihn lange unschlüssig an. „Warum sollte ich Ihnen glauben?“
„Weil ich im Gegensatz zu Ihnen, Miss Harriman, mein Wort zu halten pflege.“
Er legte eine aufreizende Verachtung in die Betonung ihres Namens und setzte sich auf einen Stuhl, ohne sie aus den Augen zu lassen. „Ihre Kleider, Miss Harriman“, wiederholte er mit dieser beängstigend sanften Stimme.
Sie trug ein hochgeschlossenes graues Kleid der Halbtrauer, das im Rücken verschnürt war. „Ich nehme an, damit wollen Sie gewährleisten, dass ich nur mit Unterwäsche bekleidet keinen weiteren Fluchtversuch mache. Wobei die meisten Ihrer Gäste halbnackt durchs Haus flanieren, aber diese Leute wollen ja auch nicht fliehen.“
„Was Sie annehmen, interessiert mich nicht, Miss Harriman.“
„Was interessiert Sie dann?“
„Ihr Gehorsam.“
In ihrer Nervosität entfuhr ihr ein spitzes Lachen. „Gehorsam war nie meine Stärke.
Im Übrigen kann ich das Kleid nicht ablegen. Dazu brauche ich eine Zofe.“
„Sie vergessen meine langjährige Erfahrung, Frauen zu entkleiden“, sagte er.
„Kommen Sie, ich löse die Bänder.“
Die Vorstellung war ihr höchst unangenehm, doch gleichzeitig wollte sie diesen grässlichen Alptraum so schnell wie möglich hinter sich bringen, also nickte sie und wollte aufstehen.
„Auf Knien, Miss Harriman.“ Seine schleppende Stimme klang gelangweilt.
Sie hatte keine große Wahl. Entweder konnte sie auf Knien zu ihm rutschen wie eine willige Sklavin oder aufspringen und weglaufen. Er hatte die Tür nicht verriegelt, und im dämmrigen Flur würde sie vielleicht ein Versteck finden, wenigstens vorübergehend. Oder sie konnte den Rest ihrer verlorenen Würde sammeln, aufstehen und abwarten, wie er darauf reagierte. Irgendwann würde sein Zorn sich legen. Aber sein Blick war immer noch leer, als habe ein anderes Wesen von ihm Besitz ergriffen.
Sie hielt es für klüger, ihm zu Willen zu sein, kroch auf Knien zu ihm, drehte ihm den Rücken zu und wollte den Zopf nach vorne über ihre Schulter legen.
Er stieß ihre Hand weg, packte den schweren Zopf, und sie sah eine Klinge aufblitzen.
Elinor schrie entsetzt auf, hob schützend die Hände an den Hinterkopf, in der Gewissheit, nur noch kurze Strähnen vorzufinden. Stattdessen floss ihr die Haarfülle offen über die Schultern. Sie schluchzte trocken vor Erleichterung und hasste sich für ihre Schwäche.
Er schob die Haare nach vorne, und sie spürte seine Hand mit dem Messer im Rücken, das die Seidenbänder durchschnitt. „Dachten Sie, ich stoße Ihnen den Dolch in den Rücken, Miss Harriman?“ Seine sanfte Stimme brachte sie in Rage.
„Ich dachte, Sie schneiden mir die Haare ab“, antwortete sie zähneknirschend.
Seine Hand mit dem Messer hielt inne. „Wie interessant. Wieso wäre Ihnen das wichtig?“
Sie drehte den Kopf über die Schulter und sah ihn an. „Mein Haar ist das einzig Hübsche an mir.“
„Und seit wann ist Ihnen wichtig, ob Sie hübsch sind oder nicht?“ Er fuhr fort, bedächtig die Bänder zu durchschneiden, offenbar um sie nicht zu verletzen. Seine Bewegungen wirkten etwas ungeschickt durch die Wunde am rechten Arm, und sie wagte nicht, zu fragen, was geschehen sei. Was immer vorgefallen war, darin vermutete sie den Auslöser seines eisigen Verhaltens.
Elinor hielt den Blick geradeaus gerichtet in die Dunkelheit und konnte die Umrisse eines Bettes erkennen. Nun wusste sie, wieso er sie hierhergebracht hatte, ob er sie mit Gewalt nehmen wollte oder nicht.
Ihr wurde eng um die Brust, in ihrem Leib setzte ein befremdliches Kribbeln ein, und sie erkannte zu ihrer Schmach, dass dieses Gefühl keine Angst war, sondern etwas beschämend Triebhaftes. Ein schmerzliches Sehnen.
„Keiner Frau ist es gleichgültig, ob sie hübsch ist oder nicht, Mylord“, sagte sie leise.
Er streifte ihr das Kleid von den Schultern, bis das Mieder sich um ihre Mitte bauschte. Sie ließ es stumm geschehen. Nun durchtrennte er die Fischbeinstäbe ihres Korsetts mit dem gleichen Bedacht.
„Aber Ihnen ist es gleichgültig“, murmelte er, „wenn Sie behaupten, kein Mann habe Sie je begehrt und Sie stehen über diesen Dingen. Oder Sie verleugnen sich selbst.
Sie leugnen, wer Sie sind und was Sie wollen.“
„Was will ich denn, Mylord?“
Das
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