040 - Paris, Stadt der Sünde
Lakaien nicht ins Schloss. Ich versuchte, mich an ihnen vorbeizudrängen, aber es waren zu viele, und ich bin ein alter Mann.“
„Du hättest nichts dagegen unternehmen können“, beschwichtigte Lydia den treuen Kutscher, während Nanny verächtlich schnaubte.
„Mich hätten die Kerle jedenfalls nicht aufgehalten“, keifte die alte Frau vorwurfsvoll.
„Du bist ein Narr und ein Feigling.“
„Ja, ja, das kann ich mir denken. Eine alte Vettel fasst sowieso keiner an“, knurrte er, und das lebenslange Gezänk zwischen den beiden fing wieder an.
„Schluss damit, ihr Streithähne!“, befahl Lydia mit erhobener Stimme. „Du hast mir noch nicht erklärt, wo sie sind. Hat man sie etwa ins Château dieses Unholds eingelassen?“
„Ja, so ist es“, erklärte Jacobs mutlos. „Ihre Mutter wollte unbedingt an den Spieltisch. Ich habe mich eine Stunde um das Haus geschlichen auf der Suche nach einem Hintereingang. Doch dann griffen mich bewaffnete Wächter auf und befahlen mir, die Kutsche zurückzubringen, und versicherten mir, dass Lady Caroline und Miss Elinor bald nach Hause gebracht werden.“
„Welche Kutsche?“
Jacobs ohnehin schuldbewusste Miene wurde nur noch zerknirschter. „Die Kutsche ... ehm ... also, das ist so ... ehm ...“ Er räusperte sich. „Ich musste mir eine Kutsche ausleihen ...“
„Du musstest eine Kutsche stehlen“, unterbrach Lydia ihn nachsichtig. „Schon in Ordnung, Jacobs. Ich bin nicht so blind, wie meine Schwester es gerne hätte. Das hast du schon einmal getan, das weiß ich. Du hast also eine Kutsche gestohlen, um meiner Mutter nachzufahren. Gut gemacht. Hast du den Wagen diesmal wenigstens zurückgebracht, bevor jemand etwas bemerkt hat?“
Jacobs hob erleichtert den Kopf. „Nicht so ganz, Miss Lydia. Aber ich konnte mich aus dem Staub machen, bevor man mich erwischte. Es gab auch keine große Aufregung, da der Wagen unbeschadet wieder im Hof stand.“
„Und wo sind Mutter und Elinor?“, fragte Lydia bang.
„Die Diener des Comtes versicherten mir, dass die Damen in einem bequemen Wagen nach Hause gebracht werden“, verteidigte er sich. „Ich hätte sie nicht dort gelassen, wenn ich nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass sie bei Seiner Lordschaft in guten Händen sind.“
„Bei dem Unhold, den alle Welt den Fürst der Finsternis nennt? Der Mann, der teuflische Feste feiert und das Blut von Jungfrauen trinkt?“, entgegnete Lydia aufgebracht. „Du musst noch eine Kutsche stehlen, Jacobs. Ich muss zu ihnen.“
„Aber Miss, ich kann doch nicht am helllichten Tag eine Kutsche stehlen.“
„Dann gehe ich zu Fuß“, erklärte sie eigensinnig. „Ich werde nicht tatenlos zusehen, dass meine Familie ...“
Ein Geräusch an der Haustür unterbrach sie. Sie raffte die Röcke, stürmte den Flur entlang und riss die Tür auf. „Oh, Nell! Ich habe mir solche Sorgen ...“
Ihre Stimme erstarb beim Anblick der fremden Männergestalt im Türrahmen, dessen verschattetes Gesicht sie im Gegenlicht der aufgehenden Sonne nicht erkennen konnte.
„Bedauerlicherweise nicht Nell.“ Eine tiefe melodische, englisch sprechende Stimme, bei deren Klang Lydia von einer Flut Erinnerungen aus längst vergangenen Tagen erfasst wurde. „Sie sind, wie ich annehme, ihre Schwester? Ihre Mutter sitzt in meiner Kutsche. Wenn Sie mir freundlicherweise zeigen, wohin meine Männer sie bringen sollen, wäre ich Ihnen zu Dank verpflichtet.“
„Ja, natürlich.“ Es dauerte einen Moment, ehe Lydia sich wieder gefasst hatte. „Im Hinterzimmer.“ Sie hörte das Gezeter aus dem Wageninnern. Ihre Mutter hatte offenbar wieder einen ihrer Tobsuchtsanfälle, und Elinor war nicht da, die Einzige, die es schaffte, Lady Caroline zu beruhigen. „Ich fürchte, wir müssen sie festbinden, sonst können wir sie nicht ins Haus schaffen.“
„Seien Sie unbesorgt, Miss Harriman“, beruhigte der Fremde. „Meine Männer sind stark und werden mit ihr fertig.“ Er drehte sich über die Schulter und gab den Dienern einen Wink. Einen Moment lang konnte sie sein Gesicht sehen.
Ein schönes Gesicht, besser gesagt, es wäre ein schönes Gesicht gewesen ohne die Narbe, die von der Augenbraue bis zum Mundwinkel verlief und ihm einen finsteren Ausdruck verlieh, seinen Mund seitlich ein wenig hochzog wie zu einem diabolischen Grinsen. Er war makellos gekleidet, hatte den Hut abgenommen, und dunkelblondes Haar wurde sichtbar. Lydia stand einen Moment wie gelähmt. Dieser Mann musste der Satan sein, von
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