040 - Paris, Stadt der Sünde
einmal nach ihr, falls sie dann noch am Leben ist ...“
Seine Stimme erstarb, als die Tür geöffnet wurde und Lydia den Kopf hereinsteckte.
„Sie sehen gar nicht aus wie ein Fürst der Finsternis“, sagte sie fröhlich, und Elinor stöhnte gequält auf.
„Dieser Herr ist Etienne de Giverney, Lydia. Er ist Arzt und will soeben gehen ...“
Das Wort wurde ihr abgeschnitten. Der Arzt drängte sich an ihr vorbei und streckte Lydia die Hand hin. „Mein verehrtes gnädiges Fräulein“, murmelte er. „Welch schwierige Zeiten für Sie.“
Elinor blinzelte verdutzt. Aber wieso wunderte sie sich? Die meisten Männer verliebten sich auf den ersten Blick in Lydia. Und der blasierte Doktor bildete keine Ausnahme.
„Doktor de Giverney hat es eilig und meint, Mama braucht viel Ruhe, Liebes“, sagte sie. „Er ist im Begriff, sich zu verabschieden.“
„Aber nein, im Gegenteil, Madame Harriman“, widersprach er heftig, ohne den Blick von Lydias blauen Augen zu wenden. „Ich bin noch nicht mit meiner Untersuchung fertig. Anschließend werde ich den Damen genaue Anweisungen geben, was zu tun ist. Ihre Frau Mutter ist sehr krank, aber das bedeutet nicht, dass wir jede Hoffnung aufgeben müssen. Bitte.“ Mit einer ausladenden Armbewegung wies er die Schwestern aus dem Zimmer.
Es könnte schlimmer sein, dachte Elinor und bat Nanny Maude, Tee für drei aufzubrühen. Er war ein leidlich gut aussehender Mann, wenn auch von mürrischem Wesen, er hatte einen angesehenen Beruf und wäre für Lydia eine gute Partie. Bevor die Krankheit den Geist ihrer Mutter verwirrte, hatte Lady Caroline große Pläne für Lydia gehabt – Adelstitel und Vermögen waren das Mindeste, was sie sich für ihre Zukunft ausgemalt hatte.
All diese Träume waren ausgeträumt, und Lydia war nicht versessen auf ein Adelsdiadem oder großen Reichtum. Als Madame de Giverney hätte sie einen charakterlich stabilen Ehemann mit gesichertem Einkommen an ihrer Seite, der ihr gesunde Kinder schenken und sie gut versorgen würde. Und wenn Francis Rohan es tatsächlich schaffen sollte, ohne Nachkommen das Zeitliche zu segnen, würde Lydia zu guter Letzt auch noch in den Genuss seines französischen Adelstitels gelangen.
Elinor wollte diese Gedanken nicht weiter vertiefen. Francis Rohans Lebensplanung hatte nichts mit ihr zu tun, und Lydia scherte sich nicht darum, ob sie zur französischen Comtesse aufstieg oder die bürgerliche Ehefrau eines Arztes wurde.
Von nun an empfing Lydia den Doktor bei seinen täglichen Besuchen stets mit einem gewinnenden Lächeln, lauschte seinen Vorträgen über die Errungenschaften moderner Medizin und stellte die richtigen Fragen. Sie würde ihm als tüchtige Assistentin in der Praxis zur Hand gehen, wenn er es gestattete. Es dauerte jedenfalls nicht lang, bis der griesgrämige junge Mann völlig von ihr hingerissen war. Bald würde er Lydia, ungeachtet ihrer Mittellosigkeit, den erwarteten Heiratsantrag machen.
An diese Hoffnung klammerte Elinor sich, während die Tage verstrichen, ohne dass ihr neu erworbener Cousin, ihre einzige Hoffnung auf Rettung, nach Paris zurückgekehrt war.
Sie hatte keine Ahnung, ob Etienne de Giverney dem Comte von seinen Besuchen berichtete, aber plötzlich hatte Seine Lordschaft aufgehört, auf ihre höflichen Dankschreiben zu antworten. Als Jacobs zum ersten Mal mit leeren Händen zurückkam, war Elinor ruhelos auf dem neuen Teppich hin und her gewandert, in Erwartung eines Boten mit einer verspäteten Nachricht, die nicht kam.
Am nächsten Morgen wurden ein Fasan, Äpfel und sechs kostbare Kristallgläser geliefert. Elinor setzte sich an den Ofen und verfasste ihr Schreiben, ohne sein Schweigen mit einem Wort zu erwähnen. Francis Rohan sollte nur nicht denken, es würde ihr irgendetwas an ihm liegen.
Auch diesmal blieb eine Antwort aus. Nein, Seine Lordschaft sei nicht verreist und habe ihren Brief erhalten, versicherte Jacobs. Offenbar war Seine Lordschaft mit den Vorbereitungen zu einem großen Fest beschäftigt, und die Harrimans waren in Vergessenheit geraten. Aber die Delikatessen und kleinen Aufmerksamkeiten wurden in schöner Regelmäßigkeit geliefert, und Elinor schrieb pflichtbewusst ihre Dankesbriefe und beteuerte im Stillen, wie erleichtert sie sei, dass er sie vergessen hatte.
Wenn Lydia sich einsichtig zeigte, wäre die Rettung nah. Bald würde sie diesen Comte de Rohan vergessen haben, obwohl sie die Bücher verschlang, die er ihr schickte. Sie betete inständig zu Gott,
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