040 - Paris, Stadt der Sünde
Erinnerungen auslöschen. Aber es war zu spät.
Die krächzende Stimme ihrer Mutter versetzte ihr einen letzten schmerzhaften Stich ins Herz. „Und nun habe ich eine hässliche Tochter, die noch dazu eine Hure ist.
Womit habe ich dieses grausame Schicksal nur verdient?“
Elinor hatte sich aus Nannys Armen befreit, ihre Mutter angesehen und nach einer passenden Antwort gesucht. Aber Lady Caroline waren die Augen zugefallen, und Elinor fand keine Worte.
Es hatte Monate gedauert, bis sie Lydias überschwängliche Zärtlichkeiten und ihre Freude, sie wieder zu Hause zu haben, ertragen konnte. Erst als sie erfuhr, Sir Christopher sei nach England zurückgekehrt mit einer jungen Braut, einem vierzehnjährigen Mädchen, wie die Klatschmäuler in geifernder Lüsternheit munkelten, wich der lastende Druck von ihr.
Und als Elinor es nach einem Jahr schaffte, Lydia in die Arme zu schließen, war das Grauen endgültig von ihr gewichen, und zum ersten Mal ließ sie den bitteren Tränen ihren Lauf.
12. KAPITEL
Die nächsten zehn Tage stellten Elinors neu erworbene Lebenseinstellung auf eine harte Probe. Sie musste sich mit den ständigen Geschenken von Viscount Rohan abfinden, sah sich gezwungen, seine Wohltaten anzunehmen, und das tat sie mit gebotener Höflichkeit, solange sie ihm nicht begegnen musste. Der Albtraum ihrer furchtbaren Erinnerungen hatte auch sein Gutes. Es war nicht von Bedeutung, dass sie sich weigerte, eine Hure zu sein wie ihre Mutter, die sich von reichen Liebhabern aushalten ließ – denn diese Rolle hatte sie damals bereits akzeptiert, als sie in Sir Christophers Bett geschlüpft war.
Beinahe täglich trafen neue Lieferungen ein: Lebensmittel, Wolldecken und seidene Überwürfe. Elinor setzte sich jedes Mal hin und verfasste ein höfliches Dankschreiben, verbunden mit der Zusicherung einer Rückzahlung, sobald die Umstände dies ermöglichten, und schickte Jacobs damit los. Und jedes Mal kehrte er zurück mit einer Antwort in Rohans kühner Handschrift, und nicht einmal Lydia erkannte die Anstößigkeit seines Vorschlags, Elinor möge demnächst bei ihm vorsprechen, um die Form einer Rückzahlung zu besprechen. Eine Form, die nichts mit Ratten zu hatte, wie er einmal betonte. Lydia hatte fragend die Stirn gerunzelt, aber Elinor verweigerte ihr eine nähere Erklärung. Sie war nämlich zur Überzeugung gelangt, die Gefährlichkeit des Fürsten der Finsternis unterschätzt zu haben, und hatte sich vorgenommen, eine Begegnung mit ihm möglichst lange hinauszuzögern.
Die Erinnerung an seinen Kuss prickelte immer noch auf ihren Lippen. Ratten waren leichter zu vergessen als dieser Mann.
Sie aß mit großem Appetit von den Delikatessen, ohne sich hinterher übergeben zu müssen, wärmte sich am Feuer des von ihm bezahlten Holzes, schlief im Bett neben ihrer Schwester unter der weichen Daunendecke und klammerte sich an den Gedanken, dass Lydia vor ihm sicher war, solange sie neben ihr schlief.
Es hatte kurze Momente gegeben, in denen sie Rohans gefährlichem Bann erlegen war und tatsächlich versucht war zu glauben, es sei nicht ihre Schwester, die er begehrte. Seine zärtlichen Berührungen, seine Küsse hatten ihre eine völlig neue Welt eröffnet. Nicht die sonnendurchflutete Welt des Glücks der wahren Liebe, sondern eine dunkle, verwirrende und gefährlich verlockende Welt des Verderbens.
Ihre Vernunft war mit dem Tageslicht zurückgekehrt. Sollte er auch nur das leiseste Interesse an ihrer Person gehabt haben, war es ausschließlich auf ihre Unberührtheit zurückzuführen. Sobald er die Wahrheit erfuhr, würde er wieder zu Verstand kommen, vorausgesetzt, er hätte ihn kurzfristig verloren.
Allerdings unternahm er keinen Versuch, ihre Schwester näher kennenzulernen, und Elinor begann, innerlich ruhiger zu werden. Und sie begann, dankbar zu sein für das wichtigste Geschenk: Etienne de Giverney.
Nach drei Tagen klopfte es wieder an der Haustür, und Elinor befürchtete das Schlimmste. „Geh ins Schlafzimmer, Lydia“, befahl sie gepresst, ließ die Handarbeit sinken und erhob sich von ihrem Lieblingsplatz vor dem Ofen. „Ich werde ihn abwimmeln.“
Lydia gehorchte ohne Widerrede, wie stets, wenn Elinor diesen Befehlston anschlug.
Sie war nicht naiv und wusste ohne falsche Eitelkeit, dass ihr Aussehen unerwünschte Aufmerksamkeit auf sich zog. Also huschte sie ins Schlafzimmer, während Elinor gespannt wartete, bis Jacobs die Tür öffnete, in der Gewissheit, dass Lord Rohan gekommen
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