040 - Paris, Stadt der Sünde
schmeicheln wollen. Ich versichere Ihnen, es besteht kein Grund, mich zu begleiten. Ich gehe häufig zum Markt, entweder alleine oder in Jacobs’ Begleitung, und hatte noch nie Unannehmlichkeiten. Wenn Sie nun bitte meine Hand loslassen ...“
Sie versuchte, sie ihm zu entziehen, doch er festigte seinen Griff, und unter dem Schatten seiner Hutkrempe konnte sie sein Lächeln sehen. „Sinkt jeder Mann vor Ihnen in die Knie, Miss Lydia?“
„Ehrlich gestanden, ja. Nur Sie nicht, Mr Reading“, antwortete sie kleinlaut. „Nanny behauptet, ich sei eitel, aber das bin ich gar nicht. Es ist nur eine Laune der Natur, dass ich hübsch bin. Dafür kann ich nichts. Meine Mutter war eine schöne Frau, und offenbar sah auch mein Vater gut aus. Die Leute schenken mir ein freundliches Lächeln, und Männer flirten mit mir. Sie, Mr Reading, bilden eine Ausnahme.“
Er schob ihre Hand in seine Armbeuge und setzte sich in Bewegung. Lydia blieb nichts anderes übrig, als Schritt mit ihm zu halten. „Ich flirte mit Ihnen, Miss Lydia“, sagte er leichthin. „Wenn Sie das nicht erkannt haben, bin ich wohl linkisch geworden und bitte um Verzeihung. Ich versuche, mich zu bessern. Darf ich Ihnen sagen, wie entzückend Ihre goldenen Locken sind? Wie sehr ich Ihren feinen englischen Teint bewundere? Dass Ihre anmutigen Bewegungen selbst Engel vor Neid erbleichen lassen und Ihr Lächeln graue Wolken vertreibt?“
„Ich halte offen gestanden nicht viel von gestelzten Schmeicheleien“, entgegnete sie achselzuckend.
Reading gab einen Laut von sich, der beinahe wie ein unterdrücktes Lachen klang, das er mit einem Räuspern zu kaschieren suchte. Er hielt weiterhin ihre Hand in seiner Armbeuge, und aus einem unerfindlichen Grund war ihr zumute, als schwebe sie über der Erde. Sie hob ihr Gesicht der Sonne entgegen und genoss ihre wärmenden Strahlen. „Ich gestatte Ihnen, Ihre plumpen Versuche, mit mir zu flirten, zu unterlassen, Mr Reading. Erzählen Sie mir lieber von Lord Rohan. Hat er große Schmerzen?“
Sie spürte die Anspannung seiner Armmuskeln unter ihrer Hand. „Ich rate Ihnen, Miss Lydia, Ihr Augenmerk auf ein anderes Objekt zu lenken. Lord Rohan bringt Sie nur in Schwierigkeiten. Im Übrigen hat er nicht viel für hübsche junge Damen übrig.“
„Er interessiert sich für meine Schwester, stimmt’s? Ist sie denn keine hübsche junge Dame?“ Sollte er es wagen, eine abfällige Bemerkung über Elinor zu machen, würde sie ihn mit dem Einkaufskorb schlagen.
„Sie wissen ebenso wie ich, dass Ihre Schwester bessere Qualitäten hat, als nur hübsch zu sein.“
„Das sehen Sie richtig“, bestätigte sie erfreut. „Und ich bin nicht so oberflächlich und eitel, wie Sie denken.“
„Ich halte sie nicht für oberflächlich oder eitel“, sagte er leise. „Ich finde Sie entzückend, charmant und ...“
„Ach, seien Sie still!“, fiel sie ihm aufbrausend ins Wort. „Sie denken, ich sei ...“
Er blieb stehen und brachte sie mit dem erhobenen Zeigefinger zum Schweigen.
Mittlerweile hatten sie das ausladende Dach der großen Markthallen erreicht.
„Sie sind schön, entzückend, charmant und eine große Verlockung, aber leider unerreichbar für mich“, erklärte er aufrichtig. „Da alle Männer Ihnen zu Füßen liegen, Miss Lydia, warum sollte ausgerechnet ich Ihnen etwas bedeuten?“
Der gequälte Ausdruck in seinen Augen verschlug ihr die Sprache, bevor es aus ihr heraussprudelte. „Weil Sie mir gefallen.“ Sie erschrak über ihr freimütiges Bekenntnis.
Er blickte ihre lange und tief in die Augen, dann neigte er den Kopf, und sie wusste, er würde sie küssen. Hier vor der Markthalle, in aller Öffentlichkeit, würde er seine narbigen Lippen auf ihren Mund legen, und sie würde die Arme um seinen Hals schlingen und seinen Kuss erwidern.
„Da sind Sie ja, Miss Lydia!“ Jacobs raue Stimme zerriss diesen magischen Moment, und Reading gab ihren Arm frei. Sie fuhr herum und spürte, wie ihr die Hitze in die Wangen schoss.
„Ich dachte, ich hätte dich verloren, Jacobs“, sagte sie in gefasster Liebenswürdigkeit, als habe sie nicht soeben die Chance auf den schönsten Kuss ihres Lebens verpasst.
„Mr Reading war so freundlich, mir eine Begleitung anzubieten.“ Sie wandte sich ihm wieder zu, und plötzlich stockte ihr der Atem. Sie brachte kein Wort mehr über die Lippen, als sie die Wahrheit in seinen Augen las.
„Stets zu Diensten, Miss Lydia“, murmelte er mit einer leichten Verneigung und
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