040 - Paris, Stadt der Sünde
die Obhut der Haushälterin. Später sehe ich noch einmal nach, ob ich etwas für Ihr Dienstmädchen tun kann.“
„Nanny Maude ist nicht unser Dienstmädchen“, fauchte Lydia entrüstet und bedachte Etienne mit einem feindseligen Blick.
Elinor, der dieser Blick nicht entging, wurde das Herz noch schwerer. Die Tatsache, dass ihre Schwester sich in den falschen Mann verliebt hatte, war beileibe nicht das schlimmste Unglück in dieser Nacht. Schlimm war allerdings, dass sie den Mann verabscheute, den sie heiraten sollte.
Etienne legte sanft einen Arm um Lydia und führte sie behutsam aus dem Zimmer, und Elinor glaubte zu sehen, wie sie resigniert die Schultern hängen ließ, als ergebe sie sich in ein auswegloses Schicksal.
Elinor senkte den Blick auf ihre rußverschmierten Hände und das völlig verdreckte Nachthemd. Gottlob verbreitete der Kachelofen im Zimmer eine behagliche Wärme.
Die Brandblasen an ihren Füßen nässten, bereiteten ihr jedoch keine Schmerzen. Aus einem unerfindlichen Grund scheute sie sich, ihre Wunden von Etienne versorgen zu lassen.
Der Doktor war ihr nicht sonderlich sympathisch, trotzdem hoffte sie, dass Lydia doch noch Zuneigung zu ihm fassen und seinen Antrag annehmen würde. Er wäre in jeder Hinsicht ein passender Ehemann für sie.
Elinor widmete ihre Aufmerksamkeit wieder Nanny Maude, wischte ihr mit einem feuchten Lappen über die Stirn und wusste, dass ihr Ende nahte. Sie überlegte, ob sie Etienne zurückrufen sollte, besann sie sich jedoch. Der Arzt konnte nichts mehr für sie tun. Nanny war sehr alt, hatte schreckliche Schicksalsschläge überstanden, aber der Schock dieser Feuersbrunst war zu viel für sie.
Elinor hob ihre Stimme ein wenig. „Jacobs?“
„Ja, Miss.“ Er erschien augenblicklich von seinem Wachtposten im Flur, blickte lange in Nannys totenbleiches Gesicht und neigte den grauen Kopf. „Darf ich bleiben, Miss?“
„Selbstverständlich, mein Guter. Nimm dir einen Stuhl, und setz dich zu ihr. Sie will sicher, dass wir beide ihr die Hand halten.“
„Aber sie hat immer gesagt, ich habe Hände wie ein Holzfäller ... so unbeholfen.“
„Das stört sie jetzt nicht mehr“, sagte Elinor sanft.
Jacobs zog den Stuhl heran, setzte sich und nahm Nannys andere Hand.
In den nächsten Stunden öffnete sie nur einmal die Augen, und ihr Blick fiel auf Elinor.
„Jetzt übertreibst du aber, Nanny Maude“, flüsterte Elinor mit tränenerstickter Stimme. „Liegst faul im Bett herum, wo wir dich alle so dringend brauchen. Sieh zu, dass du schnell wieder auf die Beine kommst, sonst werde ich ernstlich böse mit dir.“
Nanny Maude lächelte matt und drückte ihre Hand unmerklich. „Es ist nicht nötig, dass ich noch länger bleibe, Miss Nell. Ich bin müde und bereit. Sie sind jetzt in Sicherheit, mein Mädchen ... Ihre Mama kann Ihnen nicht mehr wehtun.“ Die Augen fielen ihr zu, aber sie zwang sich, sie noch einmal zu öffnen. „Aber ich muss Ihnen etwas sagen ... Ich erinnere mich nicht mehr, aber es ist wichtig ... Mir ist etwas eingefallen.“
„Das kannst du mir alles morgen erzählen, Nanny“, sagte Elinor beschwichtigend.
„Für mich gibt’s kein Morgen mehr, Kind“, flüsterte Nanny mit einer Spur ihrer früheren Strenge in der Stimme. „Ja, es droht Gefahr, jetzt fällt es mir wieder ein.“
Sie wurde von einem Hustenanfall geschüttelt. „Er ist nicht der, für den Sie ihn halten“, brachte sie mühsam röchelnd hervor.
„Wer denn, Nanny?“, fragte Elinor.
Aber die Lider waren ihr wieder zugefallen, ihr Kopf sank in die Kissen zurück, ihr Griff um Elinors Hand löste sich, und sie sank in einen endlosen Dämmerschlaf.
Stunden später streckte Etienne ein letztes Mal den Kopf zur Tür herein. „Ihre Schwester ist endlich eingeschlafen. Ich habe ihr ein paar Tropfen Laudanum verabreicht. Sie wird bis morgen Mittag schlafen.“
„Vielen Dank, Etienne“, sagte Elinor müde. Lydia wäre ihm dafür allerdings nicht dankbar. Sie wäre lieber im Kreis ihrer Lieben gewesen, wenn Nanny ihr Leben aushauchte.
Und so geschah es auch. Als das erste Morgengrauen heraufkroch, wurden Nannys schwere Atemzüge langsamer, mit langen Pausen dazwischen, und dann hörten sie ganz auf.
Jacobs wurde von einem gequälten trockenen Schluchzen geschüttelt, und Elinor schlang die Arme tröstend um seine knochigen Schultern. „Beide in einer Nacht zu verlieren, Miss“, klagte er, und die Tränen liefen ihm übers Gesicht, „das ist zu
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