040 - Paris, Stadt der Sünde
hatte lichterloh gebrannt, im Zimmer ihrer Mutter hatte eine Feuerwalze den Weg zu ihr versperrt, die Flammen waren unter der Küchentür hervorgezüngelt. Wie hatte ihre Mutter das bewerkstelligt, während alle anderen schliefen? Es gab keine andere Erklärung. Und doch ...
Die Kutsche fuhr an, bog in die verschneite Straße ein, und Elinor fragte sich, wohin der Kutscher wollte. Hatten sie Viscount Rohan tatsächlich allein bei den schwelenden Trümmern ihres Hauses zurückgelassen? Offenbar. Wieso hatte er sich in der Nähe des Hauses aufgehalten, als das Feuer ausbrach? Ein seltsamer, völlig unerklärlicher Zufall.
Sie lenkte den Blick auf das Herrenhaus. Jemand hatte die Pforte gegen den Schneesturm geschlossen. Humpelnd stieg Elinor die Marmorstufen hinauf und fragte sich bang, ob sie dem feindseligen Butler von ihrem ersten Besuch, der eine Ewigkeit zurückzuliegen schien, wieder begegnen würde. Vermutlich würde er sie als die Frau wiedererkennen, die ihn in die Hand gebissen hatte, und ihr den Zutritt verwehren.
Zu ihrer Erleichterung wurde die Pforte augenblicklich geöffnet, bevor sie den Klopfer bediente. Ein Diener empfing sie mit einer leichten Verbeugung und nannte sie in einem unverkennbaren Yorkshire-Akzent beim Namen. Sie glaubte, ihn schon einmal gesehen zu haben, entsann sich aber nicht, wo und wann.
Man hatte Nanny in einen kleinen Raum im hinteren Teil des Hauses gebracht, der augenscheinlich als Krankenzimmer diente. Die alte Frau lag reglos im Bett, aschfahl im Gesicht, ihre Atemzüge gingen immer noch rasselnd. Lydia saß neben ihr und hielt ihre Hand. Jemand hatte sich die Mühe gemacht, ihr vom Ruß geschwärztes Gesicht zu waschen und sie in warme Decken zu hüllen. Etienne de Giverney stand am Fußende des Bettes und drehte sich zu Elinor um.
„Sie hat einen schweren Schock erlitten“, erklärte er mit ernster Miene. „Und ihr Herz ist sehr schwach.“
„Sie wird nicht sterben“, widersprach Elinor eigensinnig, setzte sich zu ihr und nahm ihre andere Hand.
„Ich fürchte, Sie irren. Es ist nur eine Frage der Zeit. Ich habe getan, was in meiner Macht stand – der Rest liegt in Gottes Händen“, entgegnete Etienne, dieser aufgeblasene Wichtigtuer, und wandte sich an ihre Schwester. „Miss Lydia, Sie brauchen dringend Ruhe. Ihre Schwester kann am Bett Ihres alten Kindermädchens wachen.“
„Ich lasse die beiden nicht allein“, weigerte Lydia sich mit tränenerstickter Stimme.
Elinor wandte sich ihr zu. „Er hat recht, Liebes. Es wäre uns nicht geholfen, wenn du auch noch krank wirst.“
„Kommen Sie, Miss Lydia“, drängte Etienne, ergriff ihre Hand und zog sie mit sich.
„Die Haushälterin meines Cousins hat gewiss bereits ein Zimmer für Sie vorbereiten lassen. Sie sind ein zartes, empfindsames Geschöpf und mussten Furchtbares mit ansehen. Ihre Schwester ist von robuster Natur – sie wird die Nachtwache unbeschadet durchhalten.“
„Ganz recht“, bekräftigte Elinor mit einem Anflug von Ironie. „Ich habe eine robuste Natur.“
„Ich bin ebenso stark wie meine Schwester und lasse sie nicht allein“, weigerte Lydia sich wütend und versuchte, Etiennes Hand abzuschütteln. „Wo ist eigentlich Mr Reading? Er hat uns begleitet, und ich habe ihn nicht mehr gesehen ...“
„Mr Reading ist in die Rue du Pélican gefahren, um meinen Cousin abzuholen“, antwortete Etienne beiläufig. „Er wird hier nicht gebraucht.“
Lydia liefen die Tränen erneut übers Gesicht, ein gequältes Schluchzen entrang sich ihr. „Natürlich nicht“, bestätigte sie, und ihre Stimme überschlug sich beinahe.
„Keineswegs.“
Bei Lydias Anblick krampfte sich Elinors Herz zusammen. Bitte nicht, lieber Gott, flehte sie inständig. Ihre Schwester durfte sich nicht in Charles Reading verlieben.
Das wäre ihr sicherer Untergang.
Aber dies war nicht der Zeitpunkt, um sich darüber Gedanken zu machen. Elinor fasste sich wieder. „Ich übernehme die erste Nachtwache, Liebes, und du legst dich aufs Ohr“, sagte sie sanft. „Und wenn du dich ein wenig ausgeruht hast, löst du mich ab. Einverstanden? Und mach dir bitte keine Sorgen um Lord Rohan und seinen Freund. Sie kommen wohlbehalten zurück.“
Lydia sah sie in stummer Verzweiflung an, dann schloss sie kurz die Augen. „Du hast ja recht“, sagte sie gefasst. Und als Etienne de Giverney sie diesmal bei der Hand nahm, ließ sie es geschehen.
Er räusperte sich. „Wenn Miss Harriman mich nicht braucht, bringe ich Sie in
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