040 - Paris, Stadt der Sünde
es nicht über sich, ihn in seine Schranken zu weisen.
„Wissen Sie, wohin wir fahren, Mr Reading?“, fragte sie höflich.
Er räusperte sich. „In Lord Rohans Stadthaus, wenn ich nicht irre. Es liegt nicht weit entfernt, und Dr. de Giverney erwartet uns bereits. Das ist zwar nicht in Ihrem Sinn, aber ich hoffe, Sie sind damit einverstanden ...“
„Mir bleibt keine andere Wahl“, sagte sie mutlos. „Wo sollen wir sonst hin?“ Sie rutschte von der Bank, kniete vor Nanny Maude und nahm ihre kraftlose Hand. Ihr Atem ging rasselnd. Rasch blickte Elinor in Jacobs’ versteinertes Gesicht. „Sie wird wieder gesund“, versicherte sie ihm beschwörend. „Es wird alles gut.“
„Aber Miss Elinor, Ihre Mutter ...“
„Hat uns verlassen, daran können wir nichts mehr ändern. Ihre Tage waren ohnehin gezählt. Wir können nur hoffen, dass sie nicht lange leiden musste, dass die herabstürzenden Balken sie begraben haben, bevor ...“ Sie hielt jäh inne.
Zu spät. Lydia hob ihr tränenüberströmtes Gesicht. „Ach Schwester, du hast getan, was in deiner Macht stand.“
Elinor war zu schwach, um wieder auf der Bank Platz zu nehmen. „Sie weigerte sich, zu mir zu kommen“, erklärte sie tonlos. „Ich habe ihr gut zugeredet, aber sie wollte nicht. Sie schrie mich nur an, war dem Irrsinn völlig verfallen ... Ich kann nur vermuten, dass sie das Feuer gelegt hat.“
„So muss es wohl gewesen sein“, meldete Jacobs sich düster zu Wort. „Ich habe wie jeden Abend vor dem Zubettgehen sorgfältig darauf geachtet, die Glut mit Asche zu bedecken. Es kann kein Funke übergesprungen sein. Aber Nanny war in ihrem Zimmer eingeschlossen. Ich musste die Tür mit Gewalt eintreten, zum Teufel ...
Verzeihen Sie, Miss.“
In Elinor stieg ein hilfloses Lachen auf, aber sie wusste, wenn sie jetzt zu lachen anfing, könnte sie nie wieder aufhören. Welche Ironie! Die gotteslästerlichen Flüche ihrer Mutter hallten ihr in den Ohren, aber dem Teufel verdankten sie ihre Rettung.
Die Kutsche kam zum Stehen, der Wagenschlag wurde von einem livrierten Diener aufgerissen. Arme streckten sich Jacobs und seiner gebrechlichen Last entgegen.
Reading sprang aus dem Wagen, half Lydia behutsam beim Aussteigen und führte sie ins Haus. Elinor blieb allein auf Knien in der leeren Kutsche zurück.
Am liebsten hätte sie sich nicht von der Stelle gerührt und abgewartet, bis die Pferde ausgespannt waren, und niemand hätte gewusst, wo sie geblieben war. Dann würde sie sich auf der Bank zusammenrollen und schlafen ...
„Miss Harriman?“ Etienne de Giverney stand mit verdutzter Miene an der offenen Kutsche. „Darf ich Ihnen helfen?“
Zu schade, dachte sie. Der Gedanke, sich in der Kutsche zu verstecken, war einfach zu verlockend. „Nein, danke“, lehnte sie missmutig ab. „Im Haus warten zwei Patienten auf Sie. Nanny Maude ist ohnmächtig und benötigt dringend ärztliche Hilfe. Und meine Schwester ist sehr niedergedrückt und braucht Ihren Zuspruch.“
Zumal sie aus Mr Readings Nähe entfernt werden muss, fügte sie im Stillen hinzu.
„Beeilen Sie sich – ich komme gleich nach.“
Ein Diener wartete neben der Kutsche, um ihr behilflich zu sein. Elinor wäre es lieber gewesen, er wäre gegangen. Sie raffte sich auf und zog sich mühsam auf die Bank, spürte keine Schmerzen mehr in den Füßen, die sich nur noch taub anfühlten. Erst jetzt bemerkte sie, dass sie lediglich ihr altes Baumwollnachthemd trug, an manchen Stellen so abgenutzt, dass es beinahe durchsichtig war. Lydia war so geistesgegenwärtig gewesen, Morgenmantel und Schuhe anzuziehen, während Elinor in ihrer Verwirrung auf bloßen Füßen durch das flammende Inferno gelaufen war.
Und plötzlich traf sie das Ausmaß der Tragödie mit der Wucht eines Keulenschlags.
Die Familie war völlig mittellos, hatte kein Dach mehr über dem Kopf und besaß nicht einmal mehr Kleider zum Anziehen. Was in Gottes Namen sollte sie nun tun?
Sie kletterte aus der Kutsche. Mittlerweile war das Schneetreiben stärker geworden.
Wieso hatte der Schneesturm nicht früher eingesetzt, bevor all ihre Habseligkeiten in den Flammen aufgegangen waren? Ein lächerlicher Gedanke, schalt Elinor sich.
Selbst wenn es wie aus Kübeln vom Himmel geschüttet hätte, nichts hätte dieses Feuer gelöscht. Ihre einzige Hoffnung bestand darin, dass ihre Mutter in ihrem Wahn nicht auch noch benachbarte Häuser in Brand gesetzt hatte.
Die Flammen waren aus allen Winkeln gedrungen. Die Wohnstube
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