0405 - Mit Blut geschrieben
heran.«
Rose Bancroft lehnte sich zurück. Sie nahm die Brille ab und putzte die Gläser. Jetzt konnte ich ihre Augen erkennen. Die Pupillen waren von einer unnatürlichen Helligkeit, grau bis farblos. Sie wollten so gar nicht zu dem dunklen Haar passen. Rasch setzte sie die Brille wieder auf, als würde sie sich wegen ihrer Augen schämen.
»Sie wissen, wie mächtig Baal ist, Mr Sinclair?«
»Das ist uns bekannt.«
»Gut.« Sie nickte. »Und was wissen Sie über Rasputin?«
»Zu wenig«, sagte Suko. »Viel zu wenig.«
Sie bestätigte seine Worte durch ein abermaliges Nicken. »Das kann ich mir vorstellen. Rasputin ist eine geheimnisvolle, schillernde Persönlichkeit. Er hat im vorigen Jahrhundert zunächst als Mönch gelebt und sich dann der schwarzen Magie verschrieben. Ludmilla Prokowa hat mehr über ihn gewusst.«
»Aber sie ist tot«, warf Suko ein.
»Ich hörte davon.«
»Können Sie uns jemanden nennen, der mehr über Rasputin und seine Verbindung zu Baal weiß?«
Rose verzog das Gesicht. »Das ist sehr schwer. Das heutige Russland können Sie nicht mehr mit dem in der Zarenzeit vergleichen. Die haben ihre Grenzen dichtgemacht. Sicherlich wird es noch Spuren geben, die zu Rasputin führen, und eine ist besonders heiß.«
»Welche?«, fragte ich.
»Er hat ein Testament geschrieben.«
Mit dieser Eröffnung hatten wir nicht gerechnet und blieben zunächst einmal stumm. Selbst Sarah Goldwyn sagte nichts. Sie saß da und schluckte mehrmals.
»Ein Testament?«, wiederholte ich.
»Ja. Rasputins Testament«, erklärte die Chefredakteurin. »So ist es überliefert.«
»Und das existiert noch?«, wollte die Horror-Oma wissen.
»Man spricht davon.«
»Wo?«
Nach meiner Frage schaute sie mich beinahe mitleidig an. »Mr Sinclair. Ich hatte Ihnen doch vorhin von Russland erzählt. Dort müssten Sie suchen. Das käme dem berühmten Sandkorn in der Wüste gleich, das Sie finden wollen.«
»Meinen Sie wirklich?«
»Ja.«
»Ein Sandkorn in der Wüste hinterlässt keine Spuren, Mrs Bancroft. Ein Mensch wie Rasputin jedoch. Man müsste seinen Lebensweg verfolgen. Er hat in Petersburg gelebt.«
»Dem heutigen Leningrad«, verbesserte sie mich.
»Gut, das sind Kleinigkeiten. Dann müsste er auch in dieser Stadt sein Testament geschrieben haben. Ich weiß, dass die Russen ihre Kultur und Geschichte nicht vergessen haben. Die großen Schlösser der Zaren und die prächtigen Landsitze sind noch erhalten.«
»Aber Rasputin ist ein Schandfleck in der Geschichte. Man wird ihn von offizieller Seite ausradiert haben. Ich weiß es, denn ich habe einmal versucht, Kontakt mit den Russen aufzunehmen. Auch ich wollte mehr über ihn wissen. Er war ein Meister der Karten. Er liebte und beherrschte das Tarock-Spiel. Besonders die Karten, die hier aufgedeckt liegen. Das waren seine Lieblingsfiguren. Der Gehenkte, die Kaiserin oder Zarin, der Magier und besonders der Joker oder Narr. Ihn hat er oft genug ins Spiel gebracht, da er gern sein Leben einsetzte.«
Ich deutete auf die Blätter. »Leider reagieren sie nicht. Irgendwie ist die Brücke gebrochen, und wir müssen den Weg finden. Rasputins Geist ist in meinem Kreuz gebannt. Ich will nicht, dass es so bleibt. Er soll und muss wieder verschwinden.«
»Wie wollen Sie das schaffen?«
»Indem wir sein Testament finden«, erklärte Lady Sarah trocken und hatte dabei den Nagel auf den Kopf getroffen.
Die Chefredakteurin sah sie an. »Glauben Sie das, was Sie da gesagt haben?«
»Natürlich.«
Sie zog ein nachdenkliches Gesicht. Ich hatte das Gefühl, dass sie uns irgendetwas verschweigen wollte, ließ sie aber in Ruhe. »Hat einer von Ihnen eine Zigarette?«, fragte sie.
Ich gab ihr eine und auch Feuer. Nachdem das Stäbchen brannte und sie den Rauch ausgestoßen hatte, begann sie mit ihrer Formulierung. »Wie ich inzwischen bemerkt habe, sind Sie von Ihrem Plan nicht abzubringen. Ich traue Ihnen auch zu, dass Sie in die Sowjetunion hineinkommen und sich auf die Suche nach dem Testament machen. Zudem freue ich mich darüber, dass Sie mich zu Rate gezogen haben. Deshalb sollte ich Ihnen vielleicht einen Gefallen tun.«
»Und der wäre?«, fragte Lady Sarah.
Da lachte Rose auf. »Ob es ein Gefallen ist, kann ich nicht sagen, aber es existiert da eine alte Legende, die besagt, dass Rasputin sein Testament dort geschrieben hat, wo er einmal lebte, bevor es ihn an den Hof des Zaren zog.«
»Das war doch im Kloster«, sagte Suko.
»So ist es.«
Ich lächelte. »Sie
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