041 - Der Schwarze Tod
der Gegenwart kamen, und man war erstaunt, daß sie offensichtlich bereits die ganze Zeit im Dorf gelebt hatten, ohne daß man sie je bemerkt hatte.
Der Bürgermeister entschloss sich, mit einigen Männern aufzubrechen, um die Behörden zu informieren. Außerdem brauchten wir Impfstoff.
Boutel starb, und dann vervielfachten sich die rätselhaften Erscheinungen. Es wurde selbst am helllichten Tag nicht mehr so selten, eine Person oder eine ganze Gruppe in mittelalterlichen Gewändern auf der Straße zu treffen. Anfangs gab es Aufregung und Schrecken von beiden Seiten. Zum Beispiel sah ich mich im Keller meiner Tante plötzlich einer nackten Matrone in einem dampfenden Waschzuber gegenüber. Sie stieß einen Schrei aus, warf mir einige seltsame Schimpfworte an den Kopf und löste sich wieder in Luft auf.
Diese Zeitverzerrung, dieser Bruch im Ablauf der Jahrhunderte folgte offenbar keinen Gesetzen der Logik. Die beiden Dörfer, das alte wie das gegenwärtige, waren nicht auf demselben Grundriss errichtet. Außerdem war das Dorf in der Vergangenheit immer wieder von Kriegen zerstört worden.
Dieses Übereinanderblenden zweier Epochen musste früher oder später zu einem Chaos führen.
Noch waren wir nicht soweit. Aber wir verloren ein wenig den Sinn für die Zeit. Die Ereignisse überstürzten sich zu sehr. Mehrere Personen lagen krank zu Bett. Der Schmied war kaum zu Grabe getragen, als man schon Boutels Beerdigung vorbereitete. Der Tischler kündigte an, das er nur mehr drei Särge auf Lager hatte, und wenn noch mehrere starben …
Die Dorfbewohner betrachteten diese Äußerung als makabren Scherz, ohne zu wissen, daß die gesamte Einwohnerschaft zum Tod verurteilt war.
Ich hielt es daheim nicht aus, sehr zum Unbehagen meiner Tante.
„Komm bald zurück! Lass mich nicht allein. Gerade eben habe ich einen Gnom gesehen, der ein Küchenmesser schwang.“
Damit trat Collin, mein guter Collin, mein erzwungener Gefährte, zum ersten mal in mein Leben. Er hatte an eine teuflische Einbildung geglaubt, als er meine Tante sah, die ihn mit dem ersten Gegenstand, der ihr in die Hände gefallen war, bedrohte: mit einem Regenschirm. Bei der ersten Bewegung öffnete er sich, und Collin schreckt aus dem Zimmer und aus unserem Jahrhundert. Aber er sollte öfter und öfter zurückkommen, denn das alte und das neue Burach vermischten sich immer mehr, bis zu einem Punkt, wo es kaum mehr möglich war, sie auseinanderzuhalten.
Auf dem Weg zur Schenke begegnete ich einem Mann auf einem Pferd. Er trug eine Lanze, und ein breites Schwert hing an der Flanke des Tieres herab. Er sah verächtlich auf mich herab und setzte seinen Weg fort, ohne sich umzudrehen, bis er sich in der Ferne verlor.
Die Leute verließen verängstigt ihre Häuser, flüsterten miteinander und raunten einander die Namen der frisch Erkrankten zu. Seit zwei Tagen war der Bürgermeister bereits unterwegs, und man fragte sich, ob er jemals zurückkommen würde.
Boutels Beerdigung war armselig. Wären die Einwohner von Burach nicht so verschreckt und kopflos gewesen, hätte man das Begräbnis einen Skandal genannt. Niemand außer der engsten Familie des Verstorbenen folgte dem Sarg. Die Dorfbewohner zogen es vor, den Trauerzug vom Fenster aus zu beobachten. Die Söhne des Verstorbenen mußten das Grab eigenhändig zu schaufeln.
Nachts fuhr der Totenkarren durch die Gassen, und die Begleiter suchten in Höfen und auf den Schwellen nach den Toten. Im alten Burach hatte die Epidemie derartige Ausmaße angenommen, daß die Familien ihre Verstorbenen überall deponierten.
Und zur gleichen Zeit machte sich eine seltsame Erscheinung in der mittelalterlichen Stadt bemerkbar. Die Sitten verfielen zusehends, und die Sinnlichkeit wurde zügellos.
In der folgenden Nacht hörte ich Geräusche in einem Nebenzimmer, und ich dachte, daß meine Tante etwas darin suchte. Ich zündete eine Kerze an, denn der Strom war wieder einmal ausgefallen, und stand auf.
Sie waren zu fünf in dem Zimmer. In der Mitte stand ein Fäßchen Wein auf einer Bank, und entlang der Wand waren Strohsäcke ausgebreitet. Drei Männer und zwei Frauen lachten und tanzten in langen Nachthemden durchs Zimmer. Einer der Männer hob das Hemd einer der Frauen hoch, und sie lachte noch lauter. Ich erkannte die Matrone, die ich unlängst beim Baden überrascht hatte.
„Komm her, schöner Junker!“ rief sie.
Ich war Student damals und einem ausschweifenden Gelage durchaus nicht abgeneigt.
Sie streckte eine
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