041 - Der Schwarze Tod
ich das meine bekam.
Das Dorf starb aus bis zum nächsten Morgen. Jeder verkroch sich daheim, um beim geringsten verdächtigen Anzeichen der Krankheit vor Angst zu beben.
„Diese Leute sind widerlich“, sagte meine Tante beim Mittagessen und deutete mit dem Daumen nach oben. „Vorhin habe ich zwei dabei überrascht, als sie … als sie …“
„Ach ja?“ sagte ich und sah auf meinen Teller.
„Und weißt du, wo?“
„In dem Zimmer, wo du die Äpfel aufbewahrst?“
Sie sah mich mißtrauisch an. „Du warst schon dort?“
„Ich habe heute Nacht undeutlich Lachen gehört.“
„Der Gnom von unlängst mit einem dicken Weibstück!“ sagte sie entrüstet. „Als ich mit dem Regenschirm zurückkam, waren sie verschwunden. Glaubst du, daß diese Erscheinungen Realität sind?“
Wir lebten seit Tagen wie in einem Narrenhaus, und sie zweifelte noch!
Am Nachmittag hörte ich nebenan Stimmen. Auf Zehenspitzen ging ich zur Tür. Die Tante hielt sicher ihr Nachmittagsschläfchen, also sah ich durchs Schlüsselloch. Der Anblick war umwerfend: Ein junger Mann in Hemd und Kniehosen schäkerte mit zwei jungen Mädchen auf den Strohsäcken. Und seltsamerweise waren auch das alte Bett meiner Tante und die Äpfel da. Alles vermischte sich zu einer Einheit.
Ich trat ein. Der Mann begann zu lachen.
„Holla, der junge Freund in den komischen Kleidern! Komm nur näher, hab’ keine Angst!“
Er war offensichtlich betrunken. Das kleinere der beiden Mädchen, eine hübsche Brünette, löste sich von ihm und trat zu mir. Ihr Haar hing offen über ihre Brüste, die sich unter dem dünnen Hemd deutlich abzeichneten. Sie wiegte sich kokett vor mir, und als ich sie festhalten wollte, lief sie weg. Nach einer kurzen Verfolgungsjagd fing ich sie ein, mitten unter dem Gemisch von Möbeln meiner Tante und jenen aus dem vierzehnten Jahrhundert. Sie warf sich aufs Bett und zog mich auf sich. Unter dem Hemd fühlte ich ihren warmen Körper. Sie war ungeduldig, aber ich fürchtete, daß sie sich plötzlich in Luft auflöste und mich allein ließ. Doch dann gab ich ihrem Drängen nach, und die Zeit ließ uns gewähren.
Die beiden anderen sahen interessiert zu.
„Sehr tüchtig, unser Freund!“ rief der Mann wenig später. „Du hast dir einen guten Schluck verdient. Komm! Koste diesen Wein!“
Er hielt mir einen Pokal hin, und ich trank einen Schluck. Der Wein war stark gewürzt und sehr süß, aber um meinen Gastgeber nicht zu enttäuschen, leerte ich den Becher bis zur Neige.
„Das nenne ich einen Genießer. Sowohl beim Wein als auch bei der Wollust. Sag’, mein Freund, kommst du von weither? Ist draußen auch die Pest zugegen?“
Die herzlose Gleichgültigkeit der Frage empörte ich. Aber er merkte es nicht und fuhr fort: „All die Schurken und Bauernlümmel, die rundum verrecken, werden uns noch alle verpesten. Man sollte alle Häuser verbrennen und überall schwefeln!“
Er verbeugte sich leicht. „Mein Name ist Charles de Kerguerhen. Auf der Durchreise durch diesen Ort nach Compostela bin ich in die Zwangslage geraten, dem Gesetz der Quarantäne gehorchen zu müssen. Niemand und nichts darf diesen Ort verlassen, wie Ihr wißt! Aber wie ist es Euch gelungen, in diesen Ort zu kommen, mein Herr? Herr …“
„Simon Lerouge.“
De Kerguerhen verzog leicht das Gesicht. Sein neuer Freund war offenbar aus den unteren Schichten. Aber die Gegenwart der beiden jungen Mädchen zwang ihn, diesen Unterschied zu vergessen. Er wollte unbedingt, daß wir die Partner tauschen, und ich willigte nur zu gern ein.
Als ich sie verließ, weil ich fürchtete, meine Tante könnte jeden Moment erscheinen, wußte ich erheblich mehr von dieser Epoche als vorher. Sie alle wohnten in der Herberge des Ortes. Die beiden Mädchen als Dienstboten und de Kerguerhen als Gast. Außer ihnen saßen noch mehrere andere Leute in der Herberge fest, denn der Landesherr hatte über Burach die Quarantäne verhängt. Es gab einige adelige Damen und Herren in der Herberge, sowie reiche Bürger, die geschäftlich unterwegs waren. Ich hatte gehört, daß eine gewisse Ninon Falguiere von einer ganz außergewöhnlichen Schönheit war, doch von ihrem gestrengen Vater in ihren Zimmern eingeschlossen wurde.
„Ich höre nicht auf zu hoffen, sie doch noch eines Tages in unsere Spiele einschließen zu können“, sagte der junge Baron.
Als ich dann durch die Straßen meines Ortes ging, fiel es mir schwer, die Vergangenheit und die Gegenwart zu trennen. In den leeren
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