041 - Der Schwarze Tod
Kinder, ja. Aber meine Eltern? Sie sind alt, sie würden es nicht überstehen.“
Meine Tante sah mich an. Dann begriff sie, worum es ging. „Simon!“ rief sie. „Ich verbiete es dir.“
„Nein, Tante. Ich muß gehen.“
„Mein Herr! Dann gehen wir schnell! Manchmal schließt sich das Tor plötzlich und grundlos.“
„Geh nicht, Simon! Geh nicht!“
„Ich muß.“
Sie gab nach, und praktisch, wie sie war, sagte sie: „Dann iß einen Teller Suppe, bevor du gehst.“
„Na gut. Aber gib ihm auch etwas.“
Wir aßen zu dritt. Fleischsuppe, eine Omelette und Käse. Jehan griff tüchtig zu, und dieser Heißhunger freute meine Tante, wie jede gute Köchin.
„Gehen wir.“
Meine Tante umarmte mich, und wir gingen in die eisige Nacht hinaus. Ich sah zum Himmel, um den Stand der Sterne zu betrachten. Wenn sich diese Konstellation jäh änderte, würde ich wissen, daß ich nun in einem anderen Jahrhundert war.
Wir bogen ins Hilariusgässchen ein und gingen auf die Mauer zu, ohne unsere Schritte zu verlangsamen. Ich erwartete dagegen zu stoßen. aber plötzlich befand ich mich auf der anderen Seite. Ich sah zum Himmel: die Sterne strahlten aus anderen Positionen.
„Ich wohne nicht sehr weit von hier“, erklärte Jehan de Boffre.
Als wir an einem niederen, strohgedeckten Haus vorbeigingen, beugte sich Jehan de Boffre zu mir.
„Hier wohnt der Magier aus dem Morgenland. Seine Gefährten sind schwarze Teufel und fremdartige Weiber. Von hier aus schleudert er seine Hexereien über uns.“
„Weshalb wohnt er nicht in der Herberge?“
„Man hat ihn davon gejagt.“
Plötzlich zog mich mein Begleiter in einen dunklen Winkel.
„Still!“
Drei Männer in Rüstungen gingen nur einige Schritte von uns entfernt vorbei. Ihre Kettenhemden glitzerten. Jehan wartete minutenlang, ehe er sich rührte.
„Es ist untersagt, nach dem Abendgeläut die Häuser zu verlassen. Es heißt, daß sich der Schwarze Tod des Nachts schneller verbreitet.“
Wir kamen zu einem gepflegten, einstöckigen Haus mit Ziegeldach. Zu jener Zeit waren Ziegeldächer in dieser bergigen Gegend sicher selten. Als sich die Tür hinter uns schloß, standen wir in einem großen Raum mit einem riesigen Kamin, in dem brennende Scheite lagen. Drei Personen saßen beim Feuer auf einer mit Fell bedeckten Bank. Eine Frau, jung, aber bereits behäbig, erhob sich um uns zu begrüßen. Sie knickste.
„Herr Simon Lerouge“, sagte Jehan de Boffre.
Ich erinnerte mich nicht, ihm meinen Namen gesagt zu haben, aber er wußte scheinbar alles.
„Meine Frau Ciaire … meine Eltern.“
Zwei alte Leute, die vor sich hinmurmelten.
„Hier meine Kinder.“
Sie spielten im Stroh, das, wie es damals üblich war, einen Teil des Raumes bedeckte. Sie sahen mich ängstlich an.
„Herr Simon hat das Wundermittel.“
Frau Ciaire starrte mich unverwandt an, und ihre Augen füllten sich mit Tränen.
„Ich brauche einen Kochtopf.“
Ich zeigte auf einen Eisentopf, der an der Feuerstelle lehnte.
„Das ist das Richtige. Füllt ihn mit Wasser und stellt ihn auf den Rost über den Flammen.“
Während wir warteten, servierte mir Jehan Wein. Ich stürzte den starken, gewürzten Trunk hinunter. Die Alten, die Frau und die Kinder sahen mich mit offener Neugier an. Sie starrten auf meine Kleider und besonders auf meine festen Lederschuhe. Die Alten trugen eine Art dicke Wollstrümpfe, ihre Holzschuhe standen neben der Tür. Frau Claire trug die gleichen Wollstrümpfe, aber mit einem Stück Leder an den Sohlen. Jehan hatte fein gearbeitete Stiefel.
Als das Wasser kochte, legte ich meine Nadeln hinein und erklärte, was ich weiter zu tun gedachte. Bei dem Wort Einstich liefen sie alle davon. Jehan erklärte mir, daß das eine Art von Teufelsaustreibung war, die nur eine gewisse Sorte von Personen ausführen durfte. Aber um mir eine längere Rede zu ersparen, hielt er mir seinen Arm hin. Die anderen sahen erschreckt zu, wie die Nadel in seine Haut drang. Er blieb völlig ruhig und lächelte, bis ich fertig war. Dann versicherte er den Seinen, daß er nichts gespürt habe. Wir wollten nun die Eltern impfen, aber die beiden Alten schlugen wie wild um sich, so daß Jehan seinem Vater die Arme mit dem Gürtel festschnallen mußte, während ich die Injektion gab. Seine Mutter verlor die Besinnung, und ich mußte Wiederbelebungsversuche anstellen.
Frau Claire öffnete das Oberteil ihres Kleides und streifte es über eine Schulter herab. Sie hatte sehr weiße, glatte Haut
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