041 - Der Schwarze Tod
Situation, in der wir lebten, wurde mit jedem Tag kritischer, und der Zynismus, mit dem ich ihr gegenüberstand, wuchs. So hätte ich keine besonderen Skrupel gehabt, die Lage des Mädchens auszunützen und meinen Spaß mit ihr zu haben. Aber der verzweifelte Blick, mit dem sie mich ansah, ließ mich meine Gedanken vergessen. „Was geschieht nun?“ fragte ich. „Ach, mein Herr! Ich werde zusammen mit den Kranken und allerlei zwielichtigem Gesindel ins Pesthaus gebracht, weil man denkt, daß ich den Schwarzen Tod mit mir führe. Aber vielleicht irrt Ihr Euch, und mein Vater stirbt nicht? Er, der so ungeduldig war, die Herberge wieder verlassen zu können, um das Christfest daheim in unserer schönen Stadt Narbonne zu verbringen.“
Wieder beugte ich mich über den Kranken. Er hatte nur mehr wenige Augenblicke zu leben. Sie verstand und sank auf die Knie.
Ich war es, der die Augen des Herrn Falguiere, Kornhändler aus Narbonne, zudrückte.
Später sollte ich seinen Namen und den seiner Tochter Ninon erfahren. Als sie sich vorstellte, erinnerte ich mich, daß Charles de Kerguerhen von ihr in beunruhigender Weise gesprochen hatte. Er hoffte doch, bevor die Quarantäne ablief, sie in seinem Bett zu haben.
„Mein Herr, ich muß mich ankleiden. Es ist nicht schicklich, wenn ich in Gegenwart meines toten Vaters und der Euren mich so zeige.“
Ich ging aus dem Zimmer auf den Korridor und lehnte mich an das Geländer, das rundum lief. Nur die Öllampe in der Nische spendete ein wenig Licht.
Offenbar hatte niemand die Schreie des Mädchens gehört. In dieser Herberge schlief man wohl fest und tief, und die Mehrzahl der Bewohner legte sich sternhagelvoll zu Bett.
„Mein Herr!“
Sie stand auf der Schwelle des Zimmers. Ich trat wieder zu ihr.
„Herr, was soll nun geschehen? Was soll ich tun? Das Begräbnis meines Vaters ist vorzubereiten, und ich weiß nicht, wo beginnen.“
„Hört zu, mein Fräulein. Ihr könnt nun nichts mehr für ihn tun, und Ihr lauft Gefahr, davon gejagt zu werden und Euch auf der Straße, oder schlimmstenfalls im Pesthaus, wiederzufinden. Wärt Ihr bereit, mit mir zu kommen?“
Sie senkte die Augen und drehte den Kopf zur Seite.
„Herr, ich kenne Euch doch nicht.“
„Simon Lerouge. Mein Fräulein, habt Ihr von den Wunderdingen gehört, die diesen Ort heimsuchen?“
Ninon sah mich erstaunt an.
„Sprecht Ihr von diesen Erscheinungen? Von den Unbekannten, die aus fremden und verzauberten Ländern kommen?“
Plötzlich begriff sie, weshalb ich in einem derart seltsamen Aufzug herumlief, und trat zurück. Sie sah aus, als wollte sie weinen, also legte ich einen Finger über meine Lippen und sah sie beschwörend an.
„Um Gottes willen, mein Fräulein! Habt keine Angst!“
Sie lief in das Innere des Zimmers zurück, und ich hütete mich, auch nur einen Schritt zu tun. Sie sah mich erschreckt an und ich bemühte mich, möglichst wirksam zu lächeln.
„Ihr seid eines jener Wesen, die aus der Hölle kommen, um mich in Versuchung zu führen.“
„Nein, mein Fräulein. Ihr irrt Euch.“
Ich wußte nicht, wie ich Ninon Falguiere überzeugen sollte.
„Holla!“ rief eine Stimme von unten. „Wer spricht hier und raubt ordentlichen Christenmenschen ihren wohlverdienten Schlaf?“
Ich erkannte die Stimme Collins. Leise ging ich ins Zimmer. Ninon floh zum Bett ihres toten Vaters, als ich die Tür schloß.
„Habt keine Furcht!“ sagte ich leise. „Ich bin weder Dämon noch Geist. Einfach ein Mensch aus einer anderen Epoche. In welchem Jahr glaubt Ihr zu leben?“
„1385.“
„Ich komme aus dem Jahre 1943. Sechs Jahrhunderte trennen uns. Es ist etwas Unbegreifliches geschehen, etwas, das wir alle nicht verstehen können. Aber so wie Ihr nicht ein Geist für mich seid, so kann ich auch für Euch keiner sein. Ich bin sicher, daß euer Vater dies verstanden hat.“
Sie betrachtete das Gesicht des Toten, und das schien sie zu beruhigen.
„Er sagte, daß solche Wunder bereits früher geschahen, daß man vor nicht allzu langer Zeit in Rom Leute aus der Zeit unseres Erlösers gesehen hat. Und das Leute aus unserer Epoche ganz erstaunt durch ein Dorf der alten Gallier gegangen sind. Aber ich glaube nicht an diese Geschichten.“
„Ich auch nicht, und trotzdem stehe ich vor Euch.“
„Was tut Ihr hier?“
„Ich habe einen Freund begleitet.“
Ich erzählte ihr von Jehan de Boffre und seiner Familie. Als ich von dem Serum sprach, wurde sie hellhörig.
„Ihr sagt, daß Ihr die
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