0410 - Tödliche Perücken
jenseits der breiten Glastür auf. Eine Welt des Schönen, des Feinen, zudem ein Refugium der Düfte, der hektischen Lautlosigkeit und der Lichter. Vor uns befand sich ein Glastresen, auf dem eine ebenfalls gläserne Kasse stand, die dem Betrachter ihr veraltetes Innenleben zeigte.
Tiegel, Flaschen, Dosen, Pülverchen, Pinsel, Lippenstift, Spiegel, Kämme. Es war ein wohlgeordnetes Sammelsurium das sich unter der Glastheke verbarg und um die Wette mit den Champagnerkübeln strahlte, die an jedem Kundensessel standen.
Zahlreiche Mädchen bedienten die Kundschaft. Von einem Mann sah ich vorerst nichts.
Dafür schwebte eine andere Person auf uns zu. Bevor sie uns erreicht hatte, flüsterte mir Brookman ihren Namen ins Ohr. »Das ist Lydia, aber sie hat ihre Haare anders.«
»Eine Perücke?«
»Kann sein.«
Wie alle Mädchen trug auch Lydia ihre Arbeitskleidung. Eine halblange Jacke aus rotem Stoff, mit einem tiefen V-Ausschnitt. Die Beine wurden von einer weißen, leicht gemusterten Strumpfhose umschmeichelt, wie sie in Mode war. Die roten, halbhohen Stiefel sollten wohl an die Winterzeit erinnern. Lydias Haare waren wirklich sehenswert. Sie trug eine pechschwarze Igelperücke. Nur waren diese Stacheln hier breiter und erinnerten an Messer.
Lydia lächelte neutral. Wahrscheinlich ließ sie uns ziemlich unten in der Schublade verschwinden, denn wir waren nicht entsprechend angezogen.
»Sie haben einen Termin?« fragte sie. Ihre Stimme klang leicht nasal. Dabei hob sie die nachgezogenen Augenbrauen und stemmte die linke Hand lässig in die Hüfte.
Ich hatte abgemacht, dass Barney Brookman sprechen sollte. Er redete auch, leider sehr leise. Man merkte ihm an, dass er sich unwohl fühlte. »Wir sind nicht angemeldet.«
»Oh.« Es klang gedehnt. »Das müssen Sie aber bei uns. Wir sind nicht irgendjemand.«
Barney hatte einen Geistesblitz. »Wir auch nicht, Lydia.«
»Sie kennen mich?«
»Ja, ich bin Barney Brookman. Der Bruder von…«
»Von Lisa,« sagte sie. Plötzlich wurde ihr Lächeln freundlicher.
»Was ist denn mit ihr? Ich hörte, sie wäre krank.«
Barney wollte schon die Wahrheit sagen, das sah ich seinem Gesicht an und reagierte im letzten Augenblick. Mein Tritt auf seine Zehen ließ ihn zusammenzucken. Er begriff sofort.
»Ja, ja, sie ist krank. Deswegen bin ich ja gekommen. Wir wollten sie länger abmelden. Das ist übrigens ein Cousin. Er ist zufällig in London.«
Lydia nickte mir zu und hatte die Lippen verzogen. Tja, ich war wohl nicht ihr Typ.
»Kann ich denn Mr. Sabre sprechen?«
»Wegen Lisa?«
»Natürlich.«
Sie drehte sich um und schaute in den Raum hinein. Durch die Bewegung war der Ausschnitt ein wenig verrutscht. Ungewollt verschaffte sie mir einen interessanten Einblick.
»Ich weiß nicht, ob es ihm genehm ist. Lucien ist nicht da. Er wollte auch nicht arbeiten. Er war heute Morgen sehr sensibel und hat seine kreative Phase.«
»Aber ich muss mit ihm reden!«
»Gut, dann warten Sie. Ich frage nach. Aber halten Sie sich ein wenig zurück. Unsere Kunden lieben diese Oase der Ruhe und völligen Entspannung, wenn Sie verstehen.«
Sie schwebte davon. In mir stieg der Zorn hoch. So etwas Arrogantes hatte ich selten erlebt. Nicht einmal bei den Lords oder Geldmagnaten. Da kam nur noch der Geheimdienst mit.
»War die immer so?« fragte ich meinen Begleiter.
»Keine Ahnung. Ich spreche heute zum ersten Mal mit ihr. Lisa ist mit ihr immer gut ausgekommen. Mich wundert es nur, dass Lydia noch nichts vom Tod meiner Schwester weiß.«
»Mich wundert es nicht.«
»Wieso?«
Ich winkte ab. »Lassen wir das.« Lydia hatte uns zwar geraten, kein Aufsehen zu veranstalten, doch an so dumme Sprüche hatte ich mich selten gehalten. Ich wollte nicht wie ein Zinnsoldat vor der Theke stehen bleiben und setzte mich in Bewegung, um das Arbeitsfeld der Friseurinnen zu erforschen.
Mit Licht hatte man nicht gespart. Die Becken bestanden aus grünlich schimmerndem Marmor.
Auf den bequemen Ledersitzen hockten die Ladys, um sich behandeln zu lassen. Da wurden Haare frisiert, Nägel lackiert, Finger gewaschen und Gesichter mit Gurken belegt. Letzteres geschah in kleinen, abgeteilten Kabinen, wo sogar tragbare Fernsehgeräte standen, damit sich die Damen nicht langweilten.
Das war mir zu viel Schau, die zudem einen Haufen Geld kostete.
Andererseits durfte man froh sein, dass sich Menschen wie Lucien Sabre so entfalten konnten. Denn auch so etwas war ein Teil der demokratischen Freiheit.
Wenn ich
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