0417 - Silbermond-Vampir
mußte sie ihren Weg allein gehen.
Je weiter sie von ihm entfernt war, desto weniger brachte sie ihn in Gefahr.
Erst als sie sicher war, sich wenigstens einen Kilometer weit entfernt zu haben, schlug sie wieder die Richtung zum Tal ein. Das Unterholz hatte ihr wenig Schwierigkeiten entgegengesetzt. Es war hier weitaus weniger dicht, als das Rumoren des Roboters in weiter Ferne annehmen ließ.
Der Wald lebte.
Nachttiere und Insekten verbargen sich in der Dunkelheit. Manchmal sah Nicole Lichter schwach aufglühen und wieder verschwinden. Aber sie waren ihr niemals nahe. Sie fühlte mit ihren überscharfen Sinnen, daß die Tiere und die Insekten ihr auswichen. Nein, sie wichen nicht Nicole aus, sondern dem Vampir in ihr, den sie vermutlich spürten. Sie fürchteten den Blutsauger. Nicole war zu einem Fremdkörper geworden.
Zu ihrer Überraschung öffnete sich der Wald vor ihr auf einen Weg. Er war schmal, aber asphaltiert und führte in geschwungenen Serpentinen talwärts. Nicole zögerte. Mit Sicherheit würde sie, wenn sie ihm aufwärts folgte, dort ein Haus finden. Sollte sie es suchen?
Es wäre das Vernünftigste. So käme sie auf jeden Fall noch weiter von Zamorra fort, und vielleicht konnte sie sich in jenem Haus vor dem Tageslicht verbergen und vorsichtig herausfinden, ob sie es ertrug oder nicht…
Da spürte sie etwas Seltsames. Es war ihr auf eine eigenartige, unheimliche Weise vertraut, so, als sei es mit ihr verwandt. Und zugleich wußte sie, daß es nicht menschlich war.
Sie tastete mit geistigen Fühlern danach.
Nicht weit von ihr entfernt, befand sich in Talrichtung ein Vampir…!
Nicole erstarrte, als ihr die Bedeutung bewußt wurde. Es gab nicht nur sie, sondern mindestens einen weiteren Blutsauger in dieser Gegend, der auf seiner nächtlichen Jagd war. Und die Gefährten ahnten nichts davon!
Von einem Moment zum anderen wußte Nicole, was sie zu tun hatte.
Sie folgte der Straße in die Richtung, in der sie den Vampir spürte…
***
Nordamerika. Baton Rouge, Hafenstadt am breiten Mississippi-Strom im Bundesstaat Louisiana.
Yves Cascal, den man den Schatten nannte, machte sich unsichtbar. Er tauchte in einer düsteren Seitengasse unter, als er den Impuls verspürte. Zwischen den beiden Häusern, wo es jetzt in der Abenddämmerung bereits recht dunkel war, konnte er sich um dieses Phänomen kümmern, das ihn überraschend getroffen hatte. Niemand sah dort den mittelgroßen Neger, der mit der Dunkelheit verschmolz. Er trug seinen Namen »der Schatten« durchaus zu recht…
Yves Cascal besaß das 6. Amulett. Daß es so hochrangig war, wußte er nicht. Er kam mit seinen Versuchen, das Geheimnis dieser silbernen Scheibe zu enträtseln, nur mühsam voran. Der Schlüssel zu diesem Geheimnis fehlte ihm noch. Allerdings war ihm längst klar geworden, daß man mit diesem Amulett eigenartige Dinge bewirken konnte - wenn man wußte, wie. Jene Szene im Sumpfwald würde er nie vergessen, als eine düstere Gestalt aus dem Nichts auf der Lichtung erschien und dieses Amulett mit einem grellen Blitz den Fremden angriff, um ihn in einer Feuerwolke wieder verschwinden zu lassen…
Damals war ihm zum ersten Mal klar geworden, daß es sich bei dem Amulett um eine Waffe handeln konnte. Ganz abgesehen von den unhörbaren Einflüsterungen, die ihn manchmal wie ein Magnet irgendwo hin zogen…
Er war sicher, daß er eines Tages herausfinden würde, was es mit dem Amulett auf sich hatte.
Wiederum war etwas Seltsames eingetreten. Er wußte, daß der Impuls von dem Amulett aufgenommen und an ihn weitergeleitet worden war, wenngleich ihm auch rätselhaft blieb, wieso dieses Wissen in ihm entstanden war.
Die Botschaft kam von einem Ort, der relativ nah war. Ein paar hundert Meilen waren zwar ein ganz nettes Stück Weg, aber wenn man global dachte, zählten diese Meilen kaum.
Cascal schürzte die Lippen. Deutlich hatte er die Richtung erkannt. Südosten… dort lag Florida. Dorthin hatte er vor einiger Zeit jemanden gebracht, weil das Amulett ihn dazu verleitet hatte. Dort gab es einen luxuriösen Bungalow unterhalb der Everglades. Cascal erinnerte sich an die beiden blonden Mädchen, die eineiige Zwillinge sein mußten. Er erinnerte sich an die Schwangerschaft. Und daran, daß ein Geheimnis sie umgab, wie es mit dem des Amuletts durchaus vergleichbar war.
Ein Kind war geboren worden. Yves Cascal wußte es jetzt. Und er lächelte. In seinen Gedanken wünschte er diesem Kind alles Glück der Welt, aber er brannte
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