0422 - Der Werwolf-Jäger
Durch den Druck seiner Arme hielt der Russe ihn auf Distanz, doch wenn er in die Augen des anderen schaute, glaubte er, darin die Irrlichter der Hölle zu erkennen. Es war furchtbar, und er dachte wieder an seine Frau Panja, die ebenfalls diesen Blick hatte ertragen müssen.
Das gab ihm Kraft.
Er wollte nicht so enden wie Panja, denn dann hatten ja die Bestien ihr Ziel erreicht.
Und so stemmte er sich gegen das Untier.
Er hielt die Distanz, hörte noch ein Brüllen, das nicht sein Werwolf ausgestoßen hatte, sondern der zweite, der mit John Sinclair im Clinch liegen mußte.
Wie lange würde er noch am Leben bleiben? Wann erlahmten seine Kräfte?
Der Mann aus Rußland kannte sich selbst gut genug, um zu wissen, daß seine Chancen mehr als schlecht standen. Er hatte sich zwar des öfteren geschlagen. Bei den rauhen Männern am Fluß kam das häufig vor, aber mit Werwölfen konnte man das nicht vergleichen.
Michail spürte in seinem Rücken den Druck. Er lag auf dem Geländer der Brüstung. Noch konnte er sich halten, aber Millimeter für Millimeter wurde sein Körper nach hinten gebogen.
Was half ihm noch?
Durch seinen Kopf schossen zahlreiche Möglichkeiten. Treten konnte er nicht mehr, sein Gleichgewicht wäre dann völlig dahin gewesen. Noch war der Kippunkt nicht erreicht, und so setzte er bei seiner nächsten Aktion alles auf eine Karte, wohl wissend, daß er auch alles verkehrt machen konnte.
Er sackte zusammen.
Damit hatte der Werwolf nicht gerechnet. Als Michail plötzlich in seinem Griff schlaff wurde, rutschten seine Pranken ab, stießen gegen das Gitter, und bevor er nachfassen konnte, war der Russe schon zu Boden gerutscht und frei.
Er stieß den Kopf vor.
Die Pelzmütze hatte er verloren, und so stieß er seine Schädelplatte in den Leib der Bestie.
Schmerzen verspürte der Werwolf nicht, nur der plötzliche Druck trieb ihn zurück. Er schüttelte den Kopf, ließ wieder ein wütendes Gurgeln hören, und der Russe schnellte in die Höhe. Er legte dabei beide Hände zusammen, holte weit aus, drehte sich und schlug zu.
Ein Hammerschlag traf den Nacken des Werwolfs. Ein Mensch wäre fertig gewesen. Möglicherweise wäre ihm sogar das Genick gebrochen worden.
Zwar taumelte die Bestie zur Seite, aber sie schüttelte nur wild den fellbesetzten Kopf und richtete sich auf einen neuen Angriff ein.
Waffenlos konnte Michail ihn nicht überstehen. Zeit, den Bogen zu nehmen und einen Pfeil auf die Sehne zu legen, blieb ihm ebenfalls nicht. So griff er zu einer Notlösung.
Nicht weit entfernt lag der Pfeil, mit dem er den Werwolf hatte töten wollen. Er brauchte nur die Hand auszustrecken. Ein schneller Griff, und er hielt ihn fest.
Der Werwolf griff an.
Der Russe ebenfalls.
Er schnellte in die Höhe, und die beiden so unterschiedlichen Gegner warfen sich im nächsten Moment entgegen. Beide wollten dem anderen keine Chance lassen.
Dann krachten sie zusammen.
Michail Chirianow war bewußt das volle Risiko eingegangen. Er spürte das feuchte Fell, wühlte sich förmlich hinein, aber nicht nur das. Der lange Silberpfeil drang in den Körper, als bestünde dieser aus weichem Fett.
Der Russe schrie. Er war wie rasend und gleichzeitig völlig fertig.
Nur ein Gedanke beherrschte ihn: Du mußt die Bestie vernichten!
Eigentlich war es schon lächerlich, daß die Bestie ihre Pranken auf seine Schulter gelegt hatte. Aber sie schaffte es nach dem Treffer nicht mehr, mit ihren Krallen die Kleidung und auch die Haut einzureißen. Das geweihte Geschoß steckte zu tief in ihrem Körper, und es entfaltete seine volle Wirkung.
Der Werwolf zuckte, als würde er harte Schläge einstecken, und er schaffte es nicht mehr, sich an Michail abzustützen.
»Verrecke!« keuchte der Russe. Mit einem harten und wütenden Stoß katapultierte er die Bestie zurück, die bereits eine so große Schwäche zeigte, daß sie sich nicht mehr auf den Beinen halten konnte und über die eigenen Füße stolperte.
Schwer fiel sie auf den Rücken!
Chirianow starrte in die brechenden Killeraugen und stieß seine rechte Faust klatschend gegen seine linke Handfläche.
Ein Zeichen des Sieges!
Dieses Gefühl war allzu menschlich. Er hatte sich in der letzten Minute in einer tödlichen Gefahr befunden, er war ihr nun entronnen und mußte sich abreagieren.
Bis er plötzlich an John Sinclair dachte.
Über den allmählich vergehenden Werwolf glitt sein Blick hinweg. Er suchte den Geisterjäger und sah ihn nicht mehr auf dem Dach.
Dafür
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