0424 - Der Drachen-Clan
sagen«, sagte Ted dumpf. »Ich habe einmal einen Drachen erlebt. Das war vor vielen Jahren, als jemand meine damalige Freundin ermordete. Ich habe den Mörder, der ein Drache war, zur Strecke gebracht.«
Es war die sehr vereinfachte Fassung des damaligen Geschehens. Ein Dämon hatte Teds seinerzeitige Freundin Eva Grooto ermordet, und er hatte ihn als das entlarvt, was er war - ein Drache in Menschengestalt. Die Flut hatte ihn schließlich verschlungen und getötet, als er vor Ted Ewigk fliehen mußte. Ted, der Rächer seiner ermordeten Freundin, hatte den Drachen-Dämon ins Meer getrieben. [2]
Aber Details konnte und wollte er der Chinesin nicht erzählen - in der chinesischen Mythologie haben Drachen eine ganz andere Rolle inne als in der westlichen Welt, und einen Drachen zu töten, war ein todeswürdiges Verbrechen.
Nicht umsonst nannten sich die Mitglieder der Triaden deshalb selbst ›Drachen‹ - und vielleicht war dieser Mythos auch mit ein Grund dafür, weshalb die Bruderschaft des Allessehenden Drachen diesem Biest diente…
Die Andeutungen und auch die Fotos von diesem menschenfressenden Ungeheuer mußten für Lo Yina schon schlimm genug sein und eine Welt ins Schwanken bringen.
»Du hast wirklich einen Drachen gesehen?« stieß sie hervor. Daß er diesen Drachen Mörder genannt hatte, schien sie nicht wirklich registriert zu haben - wenigstens jetzt noch nicht. »Wie sah er aus? Erzählst du es mir?«
»Nein. Es war keiner, wie du ihn dir vorstellen könntest«, sagte er rauh. Eine alte Wunde war aufgerissen. Er hatte damals sehr lange gebraucht, um über Eva Grootes Tod hinwegzukommen. Etliche Jahre. Aber andererseits war er selbst schuld, wenn die Wunde jetzt wieder aufbrach. Warum hatte er darüber gesprochen? Es wäre nicht nötig gewesen. Er hatte sich nur einfach verplappert.
Er hatte Eva damals wirklich und aus tiefstem Herzen geliebt. Vielleicht war das der Grund, warum er immer noch nicht wieder die Frau fürs Leben gefunden hatte. Vielleicht spukte tief in ihm immer noch Eva herum, nach mehr als zehn Jahren. Ein wenig Verliebtsein, ein wenig Sex… und irgendwann kam die Trennung. Nur eine Frau hätte ihn nach Evas Tod vielleicht noch für immer an sich binden können: die Druidin Teri Rheken. Aber die wiederum band sich niemals an nur einen einzigen Mann.
Ted schluckte. Seine Gedanken kehrten in die Gegenwart zurück. Zum zweitenmal an diesem Abend war er ins Grübeln geraten, hatte damit automatisch seine Wachsamkeit nachgelassen.
Instinktiv erkannte die Stewardeß, daß sie mit ihrer Frage etwas berührt hatte, das Ted bedrückte, und sie kam auf das ursprüngliche Thema zurück. »Aber was werden wir jetzt tun, Teodore? Siehst du noch irgendeinen Anhaltspunkt für uns?«
»Das Ritual fand im Morgengrauen statt«, sagte er. »Ich weiß nicht, wie oft sie es durchführen. Wenn ich mit Lee Kwong reden kann, erfahre ich es wahrscheinlich, ob sie täglich, wöchentlich, monatlich - oder zu vorher bestimmten Tagen Zusammenkommen. Aber weil das Risiko besteht, daß vielleicht schon morgen früh wieder ein Ritual stattfinden kann und ein weiterer armer Teufel dabei abgeschlachtet wird, werde ich wohl hinfahren müssen, um zu beobachten und einzugreifen.«
»Ich kann es nicht fassen, daß ein Drache solch ein Ungeheuer sein soll. Drachen bringen Glück, Teodore.« Allmählich drang in ihr Bewußtsein, was diese Fotos wirklich bedeuteten.
Ted lachte heiser. »Vielleicht erhoffen sich die Mitglieder dieser Bruderschaft das und versuchen ihn durch Menschenopfer dazu zu zwingen, daß er ihnen Glück bringt. Glück, Reichtum, Macht…«
»Hm…«
»Du solltest nicht länger darüber nachgrübeln«, versuchte er sie von dem für sie gefährlichen Gleis ihrer Gedanken abzubringen. »Laß uns wieder ein Quartier für die Nacht suchen. Heute abend können wir ohnehin nichts tun. Und ich glaube, wir haben beide etwas Ruhe sehr nötig.«
»Können wir nicht wieder in dein oder mein Hotelzimmer? Ich quartiere meine Zimmergefährtin aus…«
»Die läßt du hübsch, wo sie ist, weil sie garantiert wieder nächtlichen Besuch hat, und in meinem Zimmer sollen sich andere tummeln. Wir tauchen wieder irgendwo unter, so wie letzte Nacht. Wann mußt du zu deinem Flugzeug?«
»Der Start ist um neun Uhr vierzig. Aber ich muß mich doch bei der Polizei für Aussagen bereithalten und… Himmel, warum habe ich dem Captain keinen Bescheid gesagt?« Sie schlug sich mit der flachen Hand vor die Stirn. »Warum
Weitere Kostenlose Bücher