0427 - Die Knochen-Küste
erste, der bereits seinen Fuß auf den Strand gesetzt hatte, zuckte zusammen und begann zu wanken, als hätte jemand wuchtig gegen ihn geschlagen. Die magischen Lichtexplosionen umtanzten ihn. Manchmal rissen sie seine Gestalt scharf wie ein Schattenriß hervor, und sie jagten auch in den Körper hinein.
Ich rechnete mit einer völligen Zerstörung. Da allerdings irrte ich mich, denn die Wirkung meines Kreuzes trat auf eine andere Art und Weise ein.
Die Hexen schrumpften.
Vor unseren Augen und innerhalb der Wolken aus Licht wurden sie kleiner. Der sie umgebende Tang fiel ab. Da kippten plötzlich verdorrte, krumme Arme dem Sandboden entgegen, und wie verbrannte Pflanzenreste wirkten auch die langen Zungen, die sich innerhalb des Schlunds nicht mehr halten konnten und ebenfalls fielen.
Von Sekunde zu Sekunde verkleinerten sie sich, bis sie ihre eigentliche Größe erreicht hatten.
Normale Menschengröße…
So mußten sie einmal früher gewesen sein, bevor man sie in die Fluten geschleudert hatte.
Jane stand neben mir und nickte. Sie verfolgte den gleichen Gedankengang wie ich.
»Ja!« flüsterte sie. »Ja, das ist es genau gewesen. Die Hexen sind zu Menschen geworden, obwohl sie auch noch Hexen sind, aber sie haben ihre monströse Gestalt verloren. So hat der Teufel sie in seine schrecklichen Arme geschlossen.«
Sie redete noch weiter. Ich hörte sie nicht mehr, weil ich vorging, denn ich wollte sie aus der Nähe sehen.
Das erste verwandelte Monster lag bäuchlings im Sand. Vom Gesicht konnte ich nichts erkennen, ich sah nur das schwarze nasse Haar. Es klebte wie eine Kappe auf dem Kopf.
Die beiden anderen hatten sich auf die gleiche Art und Weise verändert. Sie schwammen noch im Wasser. Ihre Körper wurden zu einer Beute der Wellen, die mit ihnen spielten, sie hochtrugen, vorschoben, zurückzogen und wieder in Strandnähe brachten.
Ich stand im Wasser. Es schäumte um meine Knie. Die zweite Hexe wurde auf mich zugeschoben.
Das Wasser hatte ihr braunes Haar angehoben und schob es wie einen dunklen Vorhang vor.
Ich griff in die Masse hinein, um die Hexe ans Trockene zu ziehen. Da erwischte sie mich.
Tot hatte sie ausgesehen. Daß sie es nicht waren, bewies mir ihr Griff um meine Hüften.
Sie umklammerte mich mit ihren harten, knochigen Händen, stieß mich noch zurück, so daß ich das Gleichgewicht verlor und rücklings in das Wasser kippte.
Sofort rollten die schaumigen Wellen heran, überspülten uns beide, als wollten sie uns wegtragen.
Sie hielt fest, ich ebenfalls.
Aber ihre Hände wanderten, suchten nach meiner Kehle. Ich hatte die Augen geschlossen, etwas schlug gegen mein Gesicht, wahrscheinlich ihre Stirn, und plötzlich bekam sie Kontakt mit meinem Kreuz.
Durch ihre Gestalt ging ein Zucken. Sie ließ mich los, ich aber griff zu, hielt sie auch fest, als ich mir einen Ruck gab und meinen Oberkörper aus dem Wasser wuchtete.
Das Zeug rann mir aus den Haaren und am Gesicht entlang. Es glitt in meinen Mund, ich spie die salzigen Tropfen aus, schüttelte mein Haar und konnte sehen, was mit der Hexe geschah.
Sie hatte die Berührung mit dem Kreuz nicht überstanden. Während sie von den Wellen vor- und zurückgeschwemmt wurde, begann schon der Prozeß der Auflösung.
Das Wasser wirkte wie eine trennende Säure. Es zerriß die Hexe zu einem Puzzle und schwemmte die Einzelteile davon, wobei sich alte graue Haut von den Knochen löste und die Gebeine auf das Ufer zugetrieben wurden.
Eine war erledigt. Noch gab es zwei andere.
Ich drehte mich um.
Auf allen vieren kroch die zweite Meerhexe an Land. Ungefähr so schnell wie eine Schildkröte.
Aber die interessierte mich im Augenblick nicht.
Die erste war wichtiger.
Sie stand meiner Begleiterin Jane Collins gegenüber…
***
Die beiden unterschiedlichen Wesen starrten sich an. Jane war selbst einmal eine Hexe gewesen.
Als sie diese schaurige Gestalt vor sich sah, konnte sie nur den Kopf schütteln. Wie hatte sie solche Monstren nur als Freundinnen bezeichnen können?
Das war ihr ein Rätsel.
Ein Gesicht besaß die Hexe nicht mehr. Unter dem klatschnassen Haar zeichnete sich ein bleich weißbläulicher Klumpen ab, in dem noch kleine Augen zu sehen waren. Wo Menschen den Mund hatten, befand sich bei ihr eine ovale Öffnung.
Jane schüttelte den Kopf. »Nein!« flüsterte sie scharf. »Nein, nicht auf diese Art und Weise. Du bekommst mich nicht mehr, das kann ich dir versprechen. Ihr könnt immer mit mir in Kontakt treten, aber ich werde
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