043 - Der Mann von Marokko
die Straße. Er wehrt sich - wie hat er sich denn gewehrt? Man darf doch nicht vergessen, daß er eine geladene Pistole bei sich gehabt haben soll! Aber er wehrt sich, so daß Marborne seinen Polizeiknüppel gegen ihn gebrauchen muß. Was hat er denn nur die ganze Zeit mit der Pistole gemacht?«
Colonel Carter schüttelte den Kopf. »Aber die Geschichte von dem telefonischen Anruf ist doch eine Lüge.«
»Im Gegenteil, sie ist wahr. Die Telefonzentrale in New Cross hat das Gespräch abgehört. Gerade zu dieser Zeit wurden nämlich die Anschlüsse untersucht und revidiert, weil ein Teilnehmer gemeldet hatte, daß sein Apparat nicht in Ordnung sei. Die Techniker hörten zufällig gerade diesen Anruf.«
Colonel Carter sah ihn erstaunt an: »Ich merke, daß Sie sich eingehend mit dem Fall beschäftigt haben.«
»Ich habe Marborne beschattet. Der Mann, der Morlake anrief, war Marborne selbst. Und ich werde nicht eher ruhen, als bis dieser Inspektor den Abschied bekommen hat!«
»Und was ist mit Morlake?«
»Ob man ihn verurteilt oder nicht, es steht jedenfalls fest, daß James Lexington Morlake der Schwarze ist, der Schlaueste und tüchtigste Bankräuber, der in den letzten zwanzig Jahren aufgetaucht ist. Dafür habe ich genügend Beweise. Vor zehn Jahren«, sagte er ernst und bedeutungsvoll, »fand die Haslemere-Polizei einen sterbenden Matrosen auf der Portsmouth Road -«
»Von wem reden Sie denn jetzt?« fragte Carter verblüfft.
»Von dem Schwarzen, und warum er zum Einbrecher wurde. Ein sterbender Matrose, den man niedergeschlagen hatte und der in keiner Weise identifiziert werden konnte, ist daran schuld. Der Arme liegt auf einem kleinen Friedhof in Hindhead, und kein Name steht auf seinem Grabstein. Genügt das, um einen Mann zum Einbrecher zu machen?«
»Sie lieben das Geheimnisvolle«, erwiderte Carter unsicher.
»Ja, Geheimnisse sind meine besondere Liebhaberei.«
18
Der Gerichtssaal war am zweiten und letzten Tag des Prozesses dicht besetzt. Als sich der Richter niederließ, nickte er leicht, blickte flüchtig auf den Angeklagten und hörte die letzten Zeugenaussagen der Polizei.
Ein- oder zweimal lehnte er sich vornüber, um mit scharfklingender, dünner Stimme Fragen zu stellen.
Nachdem der letzte Zeuge den Stand verlassen hatte, erhob sich der Staatsanwalt.
Der Richter schaute Jim an: »Wollen Sie noch irgendeinen Zeugen benennen, Mr. Morlake?« fragte er.
Jim hatte keinen Anwalt genommen, er hatte die Kreuzverhöre der Zeugen selbst durchgeführt.
»Nein, Mylord. Ich hätte zwar den Telefonisten, der an dem Amt in New Cross arbeitete, laden können, aber die Polizei hat ja selbst zugegeben, daß ein Anruf an meine Wohnung kam und ich gebeten wurde, nach Cranfield Gardens zu kommen. Die Zeit dieses Anrufs ist festgelegt, ebenso die Zeit meiner Verhaftung. Daraus geht klar hervor, daß ich in der Zwischenzeit keine Möglichkeit hatte, in das Haus einzudringen. Die Anklage stützt sich auf die Aussage der Polizei, daß man Einbrecherwerkzeug und eine Pistole bei mir gefunden habe, aber es ist mir weder der Ankauf noch der Besitz dieser Gegenstände nachgewiesen worden. Die Polizei hat in ihren verschiedenen Aussagen dem Gerichtshof dartun wollen, daß ich ein alter, erfahrener Einbrecher sei und schon viele Bankdiebstähle begangen hätte.«
»Man hat nur gesagt, daß Sie unter einem solchen Verdacht stehen. Der Nackawachmann in der Burlington-Depositenbank hat Ihre Stimme wiedererkannt - das ist alles, was über die Verbrechen gesagt wurde, die Sie eventuell früher begangen haben«, unterbrach ihn der Richter. »Ich nehme nicht an, daß Sie im Zeugenstand gegen sich selbst aussagen wollen.«
»Das ist nicht meine Absicht, Mylord.«
»Dann ist das, was Sie jetzt zu sagen haben, Ihre Verteidigungsrede?«
Jim stand hochaufgerichtet am Geländer, das die Anklagebank umgab. Er sah Gerichtshof und Geschworene scharf an.
»Meine Herren, wenn es wahr sein sollte, daß ich ein schlauer Bankeinbrecher bin, fällt Ihnen dann nicht auf, daß ich mich bei dem Versuch, aus einem Wohnhaus Juwelen von großem historischem, aber geringem Handelswert zu entwenden, recht täppisch und wenig fachmännisch benommen habe? Warum sollte ich das tun, wenn ich erst in der vorigen Woche aus der Burlington-Depositenbank eine große Summe raubte, wie hier behauptet wurde? Nehmen Sie doch einmal an, daß ich tatsächlich die Burlington-Bank beraubt habe!«
Große Bewegung ging durch den Saal, und Stimmen schwirrten
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