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043 - Der Mann von Marokko

043 - Der Mann von Marokko

Titel: 043 - Der Mann von Marokko Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Edgar Wallace
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Araber durchsuchte das Gebüsch und fand ein stilles, schattiges Plätzchen. Dort breitete er ein Tuch aus und deutete ihr an, daß sie sich zur Ruhe legen sollte. Aber nie war sie wacher gewesen, und obgleich sie sich dorthin zurückzog, konnte sie doch nicht schlafen. Sie mußte immer wieder ihre Lage überdenken.
    Die Araberin brachte ihr Kaffee und Weizenkuchen, und Joan war dankbar für die Erfrischung, denn sie hatte seit dem Mittag vorher nichts gegessen.
    Nachdem die kleine Karawane zwei Stunden geruht hatte, wurde der Marsch fortgesetzt. Joan wunderte sich zuerst, daß die Leute, denen sie zuweilen begegnete, nicht erstaunt waren, eine europäische Frau zu sehen. Aber dann erinnerte sie sich daran, daß sie maurische Kleidung trug. Wenn die Leute sie überhaupt ansahen, so war es nur, weil sie ihr Gesicht nicht verschleiert hatte.
    Die Berge rückten näher und näher, und sie entdeckte einen weißen Flecken an einem Abhang, ohne zu wissen, daß es das Ziel ihrer Reise war. Als der Weg sich aufwärtszog, erkannte sie allmählich, daß es ein Gebäude war. Nach und nach traten die Umrisse des palastartigen Hauses immer deutlicher hervor, und sie war erstaunt über die Schönheit dieser Anlage. Es erschien ihr wie ein weitstrahlender Edelstein, und selbst aus dieser Entfernung konnte sie die Anmut der Gärten und Terrassen ahnen, die sich nach oben und unten in verschiedenen Abstufungen um das Haus zogen.
    Die Landschaft hatte hier wellenförmigen Charakter, und als die kleine Karawane zwischen Sträuchern einen sanften Hügelrücken hinaufritt, sah Joan einen Mann auf einem müden Pferd. Er hielt in kurzer Entfernung von ihnen rechts an der Straße. Die anderen schenkten ihm weiter keine Beachtung, aber das maurische Mädchen sagte ein Wort, das Joan verstand.
    »Ein Bettler?« fragte sie erstaunt. Bei anderer Gelegenheit hätte sie sich darüber gewundert, einen Bettler zu Pferd zu sehen.
    Es war ein älterer Mann mit grauem Bart. Sein Gesicht sah aus, als ob er noch nie Wasser und Seife benützt hätte, und seine Kopfbedeckung war alt und verschossen. Er schaute auf die kleine Schar, als sie vorüberkam, und Joan betrachtete bestürzt das zerrissene Gewand, das seine gebeugte Gestalt nur spärlich bedeckte, und das schmutzige Hemd, das sich am Hals zeigte. Sie glaubte, noch nie einen so abstoßenden Menschen gesehen zu haben.
    »Almosen!« sagte er. »Almosen im Namen des barmherzigen Gottes!«
    Einer der Männer warf ihm eine Kupfermünze zu, und er fing sie geschickt auf.
    »Almosen, o du schöne Rose, im Namen des Barmherzigen und Gnädigen! Habe Mitleid mit den Armen!«
    Seine Stimme erstarb in einem Murmeln.
    Joan war sehr müde, als sie die Tore erreichten und durch die blühenden Gärten schritten. Das Mädchen lief zum Haus voraus und sprach mit einer der Frauen, die neugierig ihre Ankunft beobachteten.
    Dann trat eine behäbige Frau einige Schritte vor. Ihr Gesichtsausdruck war düster und verärgert, und sie sagte etwas in scharfem Ton. Als Joan den Kopf schüttelte, um anzudeuten, daß sie sie nicht verstanden habe, biß sie sich ungeduldig auf die Lippen.
    Das maurische Mädchen schien sich vor der Frau zu fürchten; es zeigte auf eine Tür, öffnete sie schnell und bat Joan herein.
    Das Zimmer erinnerte an einen geschmackvoll eingerichteten englischen Raum. Nur die Fenster waren, wie in den meisten maurischen Häusern, mit Gittern versehen. Joan sah sich neugierig um.
    »Wer war denn die Frau?« fragte sie in dem gebrochenen Spanisch, in dem sie sich mit der Araberin zu verständigen suchte.
    Das Mädchen wollte sich vor Lachen ausschütten.
    »Das ist Senora Hamon!«
    Joan setzte sich auf den nächsten Sessel und lachte gleichfalls laut auf.

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    »Und die anderen Frauen? Sind das auch seine Gemahlinnen?« fragte Joan.
    »Nein, hier ist nur eine Frau. Die anderen sind Dienerinnen. Sie ist erst vor einiger Zeit hergekommen. Seit vielen Jahren hat sie ihren Mann nicht gesehen.«
    Joan wunderte sich, daß sie so vergnügt sein konnte. Aber die frische, gesunde Luft in den Bergen tat ihr gut und gab ihr neue Kraft. Oder war es vielleicht das Bewußtsein, daß die Zukunft ihr keine Überraschungen mehr bringen konnte? Ralph Hamon hatte diesen Zufluchtsort sicher schon seit langem vorbereitet.
    Alles war herrlich, aber es blieb doch ein Gefängnis -vielleicht noch etwas Schlimmeres.
    Am andern Ende des Zimmers fiel Licht durch ein großes Fenster, das von außen durch ein geschmiedetes Gitter

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