0435 - Mörder bitten nie um Gnade
werden sie losschnallen.«
»’nen Dreck wirst du!« rief Charles. Er mischte die Karten und blinzelte zu Henry und Lil hinüber.
»Warum lassen Sie mich nicht nach Haus?« fragte Lil zaghaft.
»Geht nicht, Miß. Sie müssen warten, bis der Boß kommt«, sagte Henry leise. »Haben Sie sonst einen Wunsch? Zigarette oder ’nen Drink?«
Lil stöhnte auf. Der Fuß, den sie sich auf dem verlassenen Industriegelände verstaucht hatte, schmerzte plötzlich.
»Was ist mit Ihnen?« fragte Henry.
»Mein Fuß«, sagte Lil.
»Okay, lassen Sie mal sehen, Miß!« Henry kniete sich hin. »Welcher ist es denn?«
»Rechts«, sagte Lil.
Henry schob das Hosenbein hoch und blickte auf einen geschwollenen Knöchel. »Sieht nicht gut aus, Miß. Sie werden einen Arzt brauchen.«
Crazy Charles erhob sich plötzlich von dem runden Tisch. Er stampfte auf die beiden zu und stellte sich hinter Henry auf. »Hast wohl 'ne Schwäche für die Kleine, was?«
»Die Miß braucht einen Arzt«, sagte Henry ruhig.
»Du bist’n Idiot!« zischte Crazy Charles.
Henry drehte sich langsam um, sah dem Mann hinter sich von unten her in die Augen, denn Henry war mindestens einen Kopf kleiner als Charles. Er sah Charles lange an und sagte nichts. Dann wandte er sich wieder an Lil.
»Ich bringe Ihnen eine Zigarette, wenn Sie wollen.«
Lil nickte schwach.
Henry wollte zum Wandschrank hinübergehen. Aber Charles vertrat ihm den Weg.
»Was soll die Kleine mit ’ner Zigarette? Die hat doch die Arme angebunden«, sagte Charles argwöhnisch.
»Wir werden sie losschnallen. Die Miß läuft nicht weg«, beruhigte Henry den Gorilla. Er wand sich an ihm vorbei und ging zum Schrank hinüber-Charles sah ihm tückisch nach.
Henry stand vor dem Schrank und suchte nach dem Kästchen, in dem die Zigaretten aufbewahrt wurden. Er fand es, fischte eine Zigarette heraus, steckte sie zwischen die Lippen und brachte danach das Kästchen zu Lil hinüber.
Charles sah stumm zu.
Henry stellte das Kästchen auf der breiten Sessellehne ab, ging zum Schreibtisch zurück, griff nach dem schweren Feuerzeug und brachte es ebenfalls zu Lil hinüber. Dann begann er, die Riemen zu lösen.
Crazy Charles trat dicht hinter Henry-Die Riemen warf Henry auf die Fensterbank über der Heizung. Lil rieb sich die Gelenke und blies über die wunden Stellen. Sie wischte sich über die Stirn und atmete auf. Es war schrecklich heiß in dem Zimmer. Henry trat zur Seite, reichte dem Mädchen das Kästchen mit den Zigaretten, und Lil bediente sich. Das Feuerzeug klickte. Lil saugte die Flamme in den Tabak, und Henry gab sich ebenfalls Feuer. Lil zog gierig an dem Stäbchen.
Da schlug Charles zu. Er schlug dem Girl die Zigarette aus dem Mund. Sie fiel auf den dicken Teppich und sengte die Wolle an. Lil vergrub die glühenden Wangen in den beiden Händen und weinte.
Henry bückte sich, um die Zigarette aufzuheben. Er faßte sie mit den Fingern der linken Hand. Während des Aufrichtens riß er die Pistole aus der Schulterhalfter und richtete die Mündung auf Charles.
»Die Kanone weg!« sagte Charles und wich zurück.
»Nicht, bis der Boß kommt«, antwortete Henry.
»Der kommt nich’. Also steck die Kanone weg!«
»Woher willst du das wissen?« fragte Henry. Er spielte mit dem Finger am Abzug. »Setz dich zu deinen Karten, Charles!« forderte er ihn auf. Er behielt Charles im Auge und reichte Lil die brennende Zigarette.
Lil rauchte und beobachtete die beiden Männer. Sie war plötzlich wach. Sie hatte plötzlich wieder Hoffnung, hier herauszukommen. Sie sah Charles an und erkannte die Hinterhältigkeit in seinen Augen, aber sie sah auch die Entschlossenheit in Henrys Gesicht. Obwohl sie sich nicht klar darüber war, warum Henry sich so verhielt, witterte sie die Chance, sich aus den Händen dieses Shefferman zu befreien-Wenn der FBI wüßte, wo Shefferman mich versteckt hält, hätte ich es nicht nötig, auf die Hilfe eines der Sheffermanleute zu hoffen, dachte sie.
Ich könnte dem FBI vielleicht Nachricht geben, dachte sie, und sie vergaß, daß Henry neben ihr mit der Pistole stand.
Sie erhob sich aus dem Sessel. Aber Henry fuhr sofort herum.
»Miß, bleiben Sie sitzen!« sagte er scharf.
Lil sank enttäuscht zurück. Der Fuß schmerzte sie. Charles fluchte und ließ sich auf den Stuhl fallen, der hinter ihm stand. Er drehte sich schwer schnaufend den Karten auf dem Tisch zu.
»Ich habe Sie nicht losgeschnallt, damit Sie hier Spazierengehen«, sagte Henry. »Rauchen Sie, und
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